Das hier ist zunächst einmal ein unsagbar schlechtes Smartphonefoto. In zweiter Linie ist es aber ein unsagbar schlechtes Smartphonefoto von einem überraschend schönen Abend. Ich war nämlich vorgestern in der Prinzenbar, wo zunächst einmal diese beiden Herren hier spielten. Sie sind eine etwas abgespeckte Version der eigentlich fünf Mann starken Alternative-Combo Van Deyk. Der Namenspatron selbst ist hier rechts im Bild und wenig überraschend für die lead vocals zuständig.
Die Jungs sind zugezogene Hamburger, also typische Hamburger (Achtung, Dialektik-Alarm). Wunderbar balladige, mit großem Gefühl und ausgefeilter Technik vorgetragene Sachen, die von Liebe handeln, von Freiheit, von Doing The Right Thing und von Kein Geld Haben und von – sagte ich das schon? – unglücklicher Liebe.
Ich geh‘ nicht mehr so oft in Konzerte. Oder in Bars. Oder in Clubs. Oder auf den Kiez. Ich bin zweifacher Familienvater, ich werde nächstes Jahr 50, ich bin Spießer und entschuldigt. Aber dann kommen diese beiden auf die Bühne, und innerhalb von Minuten ist klar, dass sie gerne auf so einer Bühne in so einer Bar stehen, weil sie etwas mit dem Publikum zu teilen haben, und das Publikum merkt das auch und teilt zurück, und die Diskokugel an der Decke der überaus traditionsreichen und barock-schönen Prinzenbar dreht sich und verteilt blaue Lichtpünktchen verschwenderisch über den Stuck und die Putten und die sonstige barocke Pracht, und das Universum beginnt sich langsam zu drehen. So wie …
Damals.
Das alles kommt mit einem Mal zurück mit dieser Musik und diesen blauen Lichtpunkten im samtigen Rot, das vom Kronleuchter zu uns hinuntersickert. Schwingungen, die ich vergessen hatte, melden sich zurück. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, das ist immer das Geheimnis. Vielleicht wird es mit zunehmendem Alter immer schwieriger, beides zugleich fertigzubringen.
Dann singt van Deyk, der ja nur das Vorprogramm machen soll, noch ein ganz besonders trauriges, ihm aber ganz besonders am Herzen liegendes Lied. Es handelt, au weia, von verflossener Liebe. Sie hat ihn nämlich verlassen.
„Er wird eine neue finden“, sagt Christiane.
„Und irgendwann wird er heiraten und Kinder kriegen“, sage ich.
Wobei ich natürlich unzulässig von mir auf andere schließe. Und mir ist klar: Ich könnte, nur mal so rein altersmäßig jetzt, der Vater von van Deyk sein. Mit einem Mal wird dieses Drehen der Diskokugel, dieses Sonnensystem aus blauen Lichtpunkten, zum Rad des Lebens, das sich unablässig dreht und dreht und dreht. Und da steht dieser unverschämt junge Typ und singt von Liebe und Verlassenwerden, als wäre es das erste Mal. Und es fühlt sich an wie das erste Mal.
Aber der Abend fängt ja erst an.
Dann spielen nämlich, und das ist schon wieder ein unsagbar schlechtes Smartphonefoto, die hier:
Main Act: Leisure Society. Sie lösen noch einmal genau das ein, was van Deyk in den Raum gestellt haben: Songs, in denen man sich ein wenig verlieren kann wie in einem großen, rotierenden Planetensystem. Wobei sich hier noch eine besonders britische Hey-warum-soll-ich-hier-eigentlich-nicht-Geige-spielen-Note hinzugesellt. Und bisweilen wird es sogar noch ziemlich fetzig, sagen wir, ein paar Asteroiden-Querschläger, die den großen Brummkreisel mal etwas durcheinanderrütteln.
Bilanz: Es gibt vielleicht nichts Neues unter der Sonne. Aber das Immerwiedergleiche kann verdammt berührend sein, wenn man zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist.