Vor genau 500 Jahren eskalierte der „Bauernkrieg“ gegen eine Obrigkeit, die das Landvolk als rechtlose Leibeigene missbrauchte. Zum Sieg der Eliten trug eine reaktionäre Vergeltungswaffe bei: Martin Luther. Kurz vor dem Gedenkjahr 2025 wagten die letzten deutschen Landwirte noch einmal den Aufstand – und wieder traf sie die Keule der Moralisten.
Ein bayerisch-schwäbischer Tierarzt berichtet aus der Praxis, die ihn in die letzten Ställe führt, in denen noch Kühe fressen und furzen: Egal, mit wem er spreche bei seinen Fahrten übers Land, ob Bauern, Handwerker, Ladenbesitzer, Gastwirte – alle seien frustriert. Nahezu jeder denke laut darüber nach, Arbeit und Betrieb einzustellen. Nicht, weil diese Menschen nicht arbeiten wollten, sondern weil es keinen Sinn mehr mache und keine Freude. Einer der meistgenannten Frustpunkte: die bürokratische Reglementierungsflut, die alles ertränke. Spürbar auch die Wut darüber, dass jeder, der etwas erwirtschaftet und Steuern zahlt, hilflos zusehen muss, wie das Geld vom Staat für Unsinn und Faulpelze aller Art hinausgeschmissen wird.
Im Januar 2024 kulminierte der Unmut der Bauern in deutschlandweiten Demonstrationen und Blockadeaktionen. Auslöser war die höhere Besteuerung von Agrardiesel durch eine wildgewordene Brüssler EU-Bürokratie. Dieser Apparat unterwirft mittlerweile alles in seinem Durchsetzungsbereich – und damit vor allem auch die Agrarwirtschaft – einem Geldvernichtungs- und Umerziehungsprogramm namens „European Green Deal“. Die tiefere Ursache der Frustexplosion im ganzen Land aber war und ist die Unzufriedenheit mit der destruktiven Regierungspolitik eines mittlerweile zerbrochenen Parteien-Bündnisses namens Ampel in Berlin. Ganz konkret erwarten die aufgebrachten Bauern weniger Belehrungen und Gängelungen durch die Politik, dafür wenigstens Wertschätzung ihrer Arbeit, von deren Erlös die meisten kaum noch leben können.
Solche Unbotmäßigkeit konnte die polit-mediale Klasse, die sich zusehends hinter Majestätsbeleidigungs-Paragrafen und einem Wortungetüm wie „staatsdelegitimierende Meinungsäußerungen“ vor jeglicher Kritik an ihrem Handeln verschanzt, dem unzufriedenen Landvolk nicht durchgehen lassen: Bevor sich die Herrschenden endgültig gezwungen sehen, sich ein neues Volk zu wählen, wurde das alte noch einmal maximal kujoniert. Journalisten, die fest ins Regierungshandeln eingebettet sind, lieferten die Munition und feuerten auch gleich selbst mit Großkaliber: Keineswegs legitime Proteste erlebe die Republik, urteilte der „Spiegel“ vor Jahresfrist. Die Demokratie sei vielmehr von einem „motorisierten Mistgabelmob“, ja gar von einer „Traktor-RAF“ bedroht. „Dreist, dreister, Bauernlobby“, schaukelte sich das Magazin empor und warnte davor, die Bauernproteste zum „Aufstand der Geknechteten“ hochzujubeln. Gegenüber den unbotmäßigen Bauern müsse die Politik endlich „eine andere Gangart“ an den Tag legen.
Welche darf’s denn sein? Genügt die Gangart des kanadischen Premiers Justin Trudeau? Er räumte und strafte die Trucker ab, die sich friedlich gegen die Corona-Zwangsmaßnahmen gewehrt hatten. Ihnen wurden die Konten gesperrt und die Personalausweise eingezogen, sodass sie das Land nicht mehr verlassen konnten. Oder braucht es härtere Maßnahmen wie diese: Man solle „sie zerschmeißen, würgen, stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund erschlagen muss“, forderte einst kein anderer als Martin Luther. Was er im Mai 1525 in seiner berüchtigten Schrift „Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern“ empfahl, erfüllten deren Adressaten, die fürstlichen Obrigkeiten, buchstabengemäß. Im Geschichtslexikon „Bavarikon“ steht darüber zu lesen, dies sei ein Tiefpunkt in Luthers Biographie und Publizistik gewesen. Sein Verrat an den Bauern, die seine deklarierte „Freiheit eines Christenmenschen“ ernst genommen hatten, kostete den Reformator viel Rückhalt in der Bevölkerung.
Auf einer Wanderung in der Fränkischen Schweiz erreiche ich ein abgelegenes Dorf, das noch bäuerlich strukturiert zu sein scheint. Neben mir hält ein Traktor an, ein sehr junger Mann steigt ab, wir kommen ins Gespräch. Freimütig erzählt er, er werde jetzt eine Metzgerlehre beginnen, weil er vorhabe, den elterlichen Hof zu übernehmen. Aber, so sagt er, eigentlich wäre er ja blöd, das zu tun. Warum, das brauche ich gar nicht zu fragen, denn er rechnet es mir sogleich vor: Wenn er sich in die soziale Hängematte legen würde, Bürgergeld und sonstige Wohlfahrtsstaatszulagen abgreifen, dann hätte er mehr Geld zur Verfügung, als wenn er sich jeden Morgen früh an die Arbeit machte. Stimmt, sage ich, Arbeit werde bestraft, man müsse sich nicht wundern, wenn sich immer mehr davor drückten. Er nickt grimmig und zieht das Fazit, dass es unser Staat ja so wolle. Trotzdem schlägt er in seinem jungen Leben einen Arbeitsweg ein.
Vergleicht man die Forderungen des Landvolks von 1525 mit den heutigen, so sind diese in beiden Fällen alles andere als unbotmäßig, sondern geradezu rührend defensiv: Man erwarte nur, was einem Christenmenschen nach der Schrift zustehe, so heißt es in den Zwölf Memminger Artikeln wiederholt. Unter anderem wollten die Bauern künftig ihren Pfarrer selbst wählen, forderten die Aufhebung der Leibeigenschaft, die Freigabe von Jagd und Fischerei und den freien Verkauf ihrer Produkte. 500 Jahre später beruft sich fast niemand mehr auf göttliches Recht, aber die Forderungen blieben ähnlich bescheiden wie einst: Man wünscht sich einfach nur faire Wettbewerbsbedingungen. Und das, wie einst, „damit der Bauer seine Arbeit nicht umsonst tue, denn ein jeglicher Tagwerker ist seines Lohnes würdig“ (so der O-Ton von 1525).
Im Januar 2024 kam schnell die härtere Gangart des polit-medialen Komplexes über die Bauern, vorerst nur in Form verbaler Schmähattacken und prallvoller Diffamierungskübel. Bewährtes Totschlagsargument: Die Bauern seien „rechts“, zumindest „rechtsoffen“, oder ließen sich ohne notwendige Distanzierung „von rechts unterwandern“ und „instrumentalisieren“. Als das alles nicht fruchtete wie gewünscht und die Bauern weiterhin auf den Straßen ausharrten, zauberte das Establishment die Fake News einer Potsdamer Wannseekonferenz 2.0 aus dem Hut – und sogleich wanderten die Bauernproteste ins Kleingedruckte hinterer Zeitungsspalten sowie aus den Hauptnachrichten von Radio und Fernsehen gleich ganz heraus. Das legitime Anliegen der Bauern: aus den Augen, aus dem Sinn.
Das hat Methode. In Memmingen (Allgäu) begeht die regierungsfromme „Zivilgesellschaft“ das Bauernkriegs-Gedenkjahr 2025 mit einem Projekt COURAGE, das offenbar vor allem dazu dienen soll, den gerechten Zorn der Landwirte bis zur Ungefährlichkeit zu verwässern: „Das Projekt zeigt letztlich, wie hart breite Bevölkerungsgruppen für ihre Freiheit gekämpft haben, und sensibilisiert dafür, dass Mitbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe auch heutzutage nicht selbstverständlich und für viele gesellschaftliche Gruppen noch zu erkämpfen sind.“ Breite Bevölkerungsgruppen haben also für Freiheit gekämpft, aber viele gesellschaftliche Gruppen müssen sie noch erkämpfen? Okay, wird schon irgendwas bedeuten. Hauptsache, es lenkt den Blick nicht auf die selbsternannten Eliten.
Der Orts-Chronist, Jahrgang 1939, aus meinem bayerisch-schwäbischen Heimatdorf stammt von einem Bauernhof, der in seiner Kindheit und Jugend mitten im damals noch intakten Bauern- und Handwerkerdorf lag. Gegenüber eine Wirtschaft, daneben die Molkerei, ein Haus weiter ein Bäcker, dem gegenüber ein Schuster, der damalige Bürgermeister, der in einem Kammermusikkreis Geige spielte. Wie diese Gegend heute ausschaut? Trostlos und verwahrlost. Nun will es vielleicht der Zufall, dass der Hof, von dem der Orts-Chronist stammt, heute der letzte Bauernhof am Ort ist, in einem Dorf mit mittlerweile 3.000 Einwohnern (woher kommt übrigens deren Essen?). Allerdings betreibt selbst dieser letzte Landwirt seinen Betrieb nicht mehr im Ort, sondern ist „ausgesiedelt“. Das heißt: Ein Kind, das im Dorf aufwächst, erlebt kein Spurenelement einer Landwirtschaft mehr (was glaubt dieses Kind, woher sein Essen kommt?). Der letzte Bauer ist der Neffe des verstorbenen Orts-Chronisten, dessen Arbeit wir mit einer Ausstellung würdigen. Er ist also der nächste Verwandte. Die Eröffnung der Ausstellung wird um sechs Uhr abends sein. Das schaffe er nicht, erklärte er, da sei er im Stall. Natürlich! Wann er denn frühestens herauskomme? Nicht vor acht Uhr. Wie hätte man einem Kind des Dorfes erklären sollen, was den Mann hinderte zu erscheinen?
Was ist im Laufe des vergangenen Jahres aus den Bauernprotesten geworden? Irgendwie sind sie – einem anhaltenden Hintergrundgrummeln zum Trotz – versandet. Dabei hatten viele gehofft, die Proteste würden sich über den Kreis der Landwirte hinaus ausweiten. Was für Signale an andere Protestwillige setzten die Landwirte damit? Was etwa wird aus dem Frust der VW-Mitarbeiter werden, die ihren Arbeitsplatz verlieren? Wird das Kreise ziehen – oder werden die „Eliten“ diese Kritik genauso wegmoderieren und wegdenunzieren wie den Bauernaufstand?
Fast sieht es so aus. Der „Stern“ macht es vor: „Die VW-Party ist vorbei! Der Widerstand der Mitarbeiter schadet ihnen selbst“, heißt es schon im Vorspann, und dann: „Der Volkswagen-Vorstand droht laut Betriebsrat, Werke zu schließen. Das klingt hart. Es ist aber leider unumgänglich. Denn zu lange haben VW-Mitarbeiter wie Maden im Speck gelebt.“ Schuld an der Volkswagen-Krise, so insinuiert dieser Beitrag, ist nur die Jobgarantie, die es bei VW seit 1994 gibt. Die müsse weg: „Will Volkswagen überleben, kann es so nicht weitergehen.“
Managementfehler, die strategische Fehlinvestition in eine unausgegorene E-Mobilität, falsche Prioritäten der woken Unternehmenspolitik, selbstzerstörerische Hysterie der Regierung bei Russland-Sanktionen und Energiewende? Nein, Grund allen Übels sind die „Personalkosten“. Der Arbeiter, der bei alledem nichts mitzuentscheiden hatte, ist schuld. Denn er arbeitet und erdreistet sich dabei, Geld zu verdienen, also Kosten zu verursachen. Diese „Party“, seine Arbeit, wird nun beendet. Nur fair und gerecht, meint stellvertretend für viele Mainstreammedien der „Stern“. Die Floskel „Wie die Maden im Speck“ ließe sich übrigens leicht als menschenverachtender Nazi-Jargon diffamieren – aber die Guten dürfen so schreiben.
Verachtung nach unten. Hinabschauen auf die Malocher, Bauern, Deppen in der Provinz. Diffamierung der Dunkeldeutschen in den „neuen Bundesländern“ (die als Falschwähler weder Anstand noch Verstand besitzen, so Kanzler Scholz am Tag der Deutschen Einheit 2024). Für die politmediale „Elite“ ist all das zu einem Lebenselexier geworden. Daraus zieht man Kraft und schließt die Reihen für die auszufechtenden Kämpfe gegen rechts, gegen Putin und Trump, diese omnipräsenten Chiffren alles Bösen, sowie gegen all die Leugner von Klima, Viren, Geschlechterbeliebigkeit. Auf Kollateralschäden bei denen, die den Laden am Laufen halten, kann das Kartell keine Rücksicht nehmen. Denn die Erleuchteten sind ja im Recht und haben die undankbare Aufgabe, der richtigen Moral zum Sieg zu verhelfen. Immer, überall, um jeden Preis.
Ende Januar 2024 habe auf der Münchner Theresienwiese „die Bevölkerung“ demonstriert, erzählt mir ein Bauer aus dem Tölzer Land, der mit seinem Traktor und der Parole „Grünrot ist unser Tod“ dort war. Das berichtet er im selben Landgasthaus, in dem mir kurz darauf ein älterer Stadtmensch erklärt, er finde es eine „Sauerei“, dass die Bauern das gleiche dürften wie die Klimakleber, nämlich Straßen blockieren. Wo doch die Kleber auf etwas Wichtiges für „unsere“ Zukunft aufmerksam machten, während die Bauern aus purem Egoismus auf die Straße gingen. Während er dies beklagt, löffelt der Bauernverächter aus einem tiefen Teller eifrig Schweizer Wurstsalat, dazu lässt er sich eine Semmel und ein Weizenbier schmecken. Ich frage ihn, ob er nicht zustimmen müsse, dass die einen Werte schafften, von denen die Allgemeinheit profitiere, während die anderen schlicht Terroristen seien. Der Mann empört sich prompt, wieso ich die Klimakleber als Terroristen bezeichne. Was, wenn nicht ein terroristischer Anschlag, frage ich, sei denn etwa die Gefährdung des Flugbetriebs mittels Drohnen am Münchner Flughafen gewesen? Und wer, wenn nicht die Bauern, habe es ermöglicht, dass er es sich hier – in einer Bauernwirtschaft! – gut gehen lassen könne? Eine nachvollziehbare Antwort erhalte ich nicht.
Wie äußerten sich eigentlich Luthers Nachfolger im Pfarramt zu den heutigen Rotten der Bauern? Welche Gangart fordern sie? Auf den ersten Blick eine erstaunlich milde: Kristina Kühnbaum-Schmidt, Landesbischöfin der evangelischen Nordkirche, rief zu „mehr Dialogbereitschaft“ auf. Da sie zugleich Beauftragte für „Schöpfungsverantwortung“ der EKD ist, kann sie aber natürlich nicht davon absehen, einen „Umbau zu einer nachhaltigen, klimaverträglichen Landwirtschaft“ zu fordern. Damit trifft die Kirchenfrau genau den wunden Punkt, an dem sich der Bauernprotest entzündet hat – nicht nur in Deutschland, sondern zuvor schon in den Niederlanden, dort weniger friedlich als hier. Gerade der „Umbau“ dreht den Bauern ja die Luft ab.
Nicht viel anders klingt es aus dem Munde der „Landesbauernpfarrerin“ in der Württembergischen Kirche, Sabine Bullinger. Einerseits wirbt sie für eine höhere Wertschätzung dieser Berufsgruppe, aber auch hier derselbe Hintergedanke: Die Bauernschaft solle bitte einsehen, dass auch sie „dem Klimawandel gegensteuern“ müsse. Beide Kirchenvertreterinnen betonen schließlich ausdrücklich, dass sie eine Gegenleistung für ihr relatives Wohlwollen einfordern: Die Bauernproteste hätten sich „von radikalen und rechtsextremen Gruppen und Positionen“ zu distanzieren.
Frage an die Theologinnen: Ist die Bibel radikal und rechtsextrem? Im dritten der Zwölf Memminger Artikel der 1525 revoltierenden Bauernschaft steht als zentrale Forderung an die Obrigkeit, es ergebe sich „aus der Schrift, dass wir frei sind und sein wollen“.
Als ich im Gespräch mit dem Bauern aus meinem Heimatdorfes frage, ob er wirklich der letzte Landwirt im Ort sei, entgegnet er: Es gäbe schon noch ein paar, die aber voll auf die Produktion von Biogas setzten. Das seien doch keine Bauern, rufe ich fast empört. Er lacht: „Offiziell schon!“ Denn auch auf diesem Gebiet werde die Statistik so frisiert, wie es den Transformatoren in den Kram passt. Da stehe dann halt für so einen Ort in den Berufsstatistiken unter „Landwirte“ nicht die Zahl 1, sondern zum Beispiel 7. Und schon sei die Welt wieder in Ordnung – auch wenn sechs davon nicht länger das produzieren, was man früher Lebensmittel nannte.
Guter Beitrag. Es gab allerdings auch einen Thomas Müntzer, der forderte: „Dies Welt soll unser seyn.“
Ich sehe die Forderungen der Bauern als äußerst berechtigt und zurückhaltend an; die soziale Frage wird nicht gestellt.
Das Zwischenergebnis geht zu den Erfolgen der herrschenden Klasse, allerdings war 2023/24 nur ein Vorscharmutzel.