Narrenhände beschriften Werbewände: je hirnloser der Luxuskonsum, desto sinnloser die Lifestyle-Botschaften. Der Trend im Upmarket Shopping District geht zum randomisierten Zusammenkuppeln von Glücksvokabeln. Reicht ja auch, wo mehr Leseverstehen ohnehin nicht mehr vorausgesetzt werden darf. Happy Bling Bling, Guys!
Ich musste gar nicht weit laufen. Ein paar Blocks, ein paar Klicks, und die dokumentarische Arbeit war getan. Alles im Kasten. Mein Büroviertel ist dafür ein ergiebiges Revier. Arbeiten, wo andere shoppen gehen. Die Elite. Man sieht es an ihrer Kleidung. An den Markenschriftzügen, die sie spazierentragen. An den teuren Frisuren. Den gelangweilten Gesichtern. Man hört es an ihrer Sprache, die bemerkenswert vulgär ist: Das Wort „Scheiße“ kommt sehr häufig vor, fast noch häufiger als „geil“. Auch wenn nicht von Geld die Rede ist.
Meist aber ist gerade von Geld die Rede, wenn man an ihnen vorübergeht. Von Strategien, Erbschaften, Notaren, Gerichten, Deals, Pitches, Bitches. Die Morlocks mit ihrem feinen Gespür dafür, dass sie die Eloi bei Tag nicht reißen können, haben nach Ladenschluss zugeschlagen: „Fick Sascha Huso“. Das ist stilistisch sogar eleganter und grammatikalisch weniger falsch als „Shaping New Tomorrow“ ohne den unbestimmten Artikel „A“.
So textet man hier, wo die Auto-Poser parken. Die mit den Lambos, den Bugattis, den – achgottchen, Anfänger! – Porsches. Natürlich parken sie im Parkverbot, einer Einrichtung für kleine Leute. Sie hingegen haben zu tun: shoppen gehen. Und die Läden, in denen sie shoppen gehen, haben sich auf sie eingestellt. Ungefragt brüllen die Auslagen „Nachhaltigkeit!“, „purpose!“ „social!“, „vegan“, „klimaneutral!“ und immer wieder „Vielfalt!“ Denn vom Regenbogen kommen viele der kaufkräftigsten Kunden.
Aber eigentlich verkaufen diese Schaufenster etwas anderes: Antworten. Antworten auf hartnäckig lästige Fragen nach Sinn. Lebenssinn. Diese Schaufenster erklären den Shoppern, warum sie auf der Welt sind. Sie sind auf der Welt, um zu feiern. Sich. Das Leben. Mutter Erde. Den Reichtum. Und dass nach ihnen nichts mehr kommt. Das nennen sie: Zukunft.
Zukunft vom Reißbrett. Hier eröffnet bald eine Mall. Diese abspritzbare Investorenarchitektur wurde hochgezogen, wo vorher das Axel-Springer-Verlagsgebäude stand. Einen Teil haben sie sogar stehenlassen, in Lettern aus Messing prangt dort immer noch „Verlagsgebäude Axel Springer“ neben dem historisch restaurierten Eingangsportal. Mindestens die „Auto-Bild“-Redaktion pressestirbt dort noch eine Weile vor sich hin. Und den alten Paternoster haben sie auch erhalten, wegen Denkmalschutz und Patina einer Großen Zeit©, als irgendwo noch Druckerschwärze über Zeitungspapier walzte.
Aber der Rest ist jetzt aufregend neu. Keimfrei. Normiert. Parzelliert. SpringerQuartier. The Future Starts Here And Now. Nämlich noch mehr vom selben globalistischen Scheißdreck: Mobility. Design. Gastro. Shaping New Tomorrow & Whatever. Man muss diesen Leuten zu viel der Ehre antun und ihre computergewürfelten Botschaften einen Moment lang für bare Münze nehmen, damit sie lesbar werden: The Future – Consumerism Or Death. You’ve got no choice, so choose wisely!
Draußen, im zugig-kalten Durchgangsbereich zwischen zwei identischen Blocks, haben sie weise Worte großer Männer dekorativ in Erz gegossen und in die wetterfesten Beleuchtungskörper integriert. „Wahr ist, was morgen in der Zeitung steht“, steuert Axel Springer aus dem Grab heraus bei. Der Witz ist: Selbst diese offensichtliche Lüge eines Toten ist zehnmal lebensechter als die Buchstabengirlanden mit Blindtext im frisch geclonten Shoppingparadies.
Buchstabengirlande in Abtritthöhe. It’s not a design style. It’s not a lifestyle. It’s a Blindtext. Beliebig austauschbare Zeichenfolgen wie diese tauchen zuverlässig dort auf, wo das zu Verkaufende keinen Mehrwert hat. Weil schon alles da ist. Gern auch mehrfach. Aber nun noch einmal mehr. Und diesmal hat es mehr als nur keinen Mehrwert: Es hat auch keinen Nutzwert. Keinen Gebrauchs- und Tauschwert. Keine Eigenschaft, die es in einer Krise begehrt machen würde.
Das ist ja gerade das Faszinierende: Sie können es nicht gebrauchen, nicht kreativ nutzen, meist nicht mal essen. Aber es wurde aufwändig gestaltet und verarbeitet, deshalb ist es teuer, und Sie können es jetzt kaufen. Um es dann zu haben. Das ist kein Designstyle, das ist Ihr Lifestyle, dezidiert anders als alle anderen Lifestyles. Perfekt für einen Menschen, der aus Haben besteht.
Einst hatten selbst Sie eine Seele. Doch je mehr Dinge und weniger Mit-Menschen Sie hatten, desto mehr verkümmerte sie. Je mehr Sie besaßen, desto leerer wurde ihr Seelenschrank. Das stürzte Sie in zunehmende Trübsal, bis Sie eine Lösung fanden: einfach Dinge mit Seele kaufen! Dann füllt sich der Soul Container wieder, und die Dinge gehören Ihnen obendrein. Win-Win! Kaufen Sie ein grünes Fahrrad, lovingly handcrafted in Goodland! Nur echt mit dem roten Schal zur beigen Jacke.
Radeln Sie damit romantisch durch die wogenden Kornfelder Ihrer Jugend, wie früher, als die Welt noch ein großes Versprechen war und nicht bis zum Erbrechen eingelöst wie heute. Sie saßen zuletzt vor dreißig Jahren auf einem pedalgetriebenen Gefährt? Dann empfehle ich, zunächst sehr langsam zu fahren, damit Ihre käufliche Seele Schritt halten kann.
Und an den Feldrainen blühen Wild Flowers At Heart. Aber das ist nur eine Metapher, wissen Sie? Ein Sinnbild für Ihr eigenes klopfendes Herz, in dem Wildblumen blühen. Spüren Sie das? Spüren Sie etwas? Überhaupt irgendwas? Nein? Dann sind es Strohblumen, das ist doch auch schön. Wie ein staubiger Spätsommertag, bis zur Neige ausgelebt vor einem minimalistisch leeren Schaufenster mit Blindtextgirlande in Fliederfarbe. Ach, herrlich.
Je weniger übrigens in einer Auslage zu sehen ist, desto wertiger erscheint dieses Wenige. Manche Schaufenster, gern etwa im nahen Alsterhaus, bieten deswegen manchmal nur noch ein einziges winziges Ding feil – hinter 40 Quadratmetern Panzerglas! Reduce To The Max, Baby! Herausforderung für die KI, die Werbetexter ersetzen wird: den Kaufgegenstand umschreibende Buchstabenornamente zu wirksamen Glücksversprechen anordnen, ohne dass sich Konsumenten erst mühsam Wort- und Satzinhalte erschließen müssen. Abstract Word Art aus dem Zufallsgenerator für Shopaholics.
Ja, heute ist ein schöner Tag im naturbelassenen Blindtextshoppingland: Der Wind lüftet den Seelenschrank, die Sonne wärmt das Strohblumenherz, und wir feiern – was feiern wir, was feiern wir? – den Tag des Entdeckens! Och, geht’s nicht eine Nummer größer? Na gut, weil ihr es seid: den globalen Tag des Entdeckens! Och, geht’s nicht fresher, smarter, cooler, Englisher? Okay, okay, for your eyes only: Today We Are Proudly Celebrating Global Day Of Discovery! Oh-my-goooooooaaaaaaad!!! Fucking aaaaaaaawesome!!! Soooo geiiiiiiiiiiil!!!
Was wir da wohl heute wieder alles entdecken? Na, Love & Peace der ganzen Welt! Oooooohhhhh, der ganzen? Ja, Kinder, überall auf der Welt entdecken heute andere Soul Container wie ihr, dass Fassbrause am besten mit einer Deko aus eingefärbten Limettenscheiben schmeckt, wenn man dazu Fake Fur und Fingernails in der neuen Trendfarbe Dunkelmauve trägt.
Aber Onkel, wird es jetzt nicht langsam ein bisschen lächerlich? Nein, Kinder, jetzt geht die Party richtig los! Schreibt unseren Schlachtruf an jede Häuserwand: Die Zukunft soll aus Kaschmir sein – aber mit individuellem Zuschnitt!
TWASBO liebt Debatten. Zum Posten Ihrer Meinung und Ihrer Ergänzungen steht Ihnen das Kommentarfeld unter diesem Text offen. Ihr themenbezogener Beitrag wird freigeschaltet, ob pro oder contra, solange er nicht gegen Gesetze oder akzeptable Umgangsformen verstößt. Vielen Dank.