Ein schönes deutsches Wort. Leider vergiftet, wie so viele inzwischen, weil es Heimat ebenso voraussetzt wie Umkehr. Dabei beschreibt es einen Vorgang, der so fundamental ist wie das Atmen. Also atmen wir tief durch – und kehren ein weiteres Mal aus der Ferne heim.
Ich bin wieder daheim. Jedesmal, wenn ich aus dem Ausland in diese Großstadt zurückkehren muss, fällt es mir schwerer als beim Mal zuvor. Eine Flugreise über die deutschen Grenzen hinweg, das ist inzwischen auf dem Hinflug Zauberei. Retour ist es eher ein Rück-Fluch.
Die Zauberei besteht darin, auf den Schwingen der Höhenwinde all das einfach so hinter mir lassen zu können, was diesseits der Grenze wie Blei auf meinem Freiheitsdrang lastet und wie der Leim der Klimakleber nach toxischem Verhaftetsein stinkt. Kaum ist man außerhalb der Reichweite der Parolen und Programme ihrer Spießgenossen, will man aufatmen und die frische Luft des gesunden Menschenverstandes einsaugen, die anderenorts die Lungen und Hirne durchlüftet. Ganz egal, dass aus den Düsen in der Kabinendecke immer noch filtrierte Flaschenluft strömt – die wahren Strömungen sind zunehmende Lebensfreude und Unbefangenheit. Wie ungemein erfrischend!
Doch dann, unvermeidlich, der Fluch des Phönix: Es beginnt damit, mich mit 1,91 Metern Körperlänge wieder in einen Flieger der Lufthansa-Sparbüchse namens „Eurowings“ zwängen zu müssen. Als sie noch „Germanwings“ hieß, schloss einer ihrer Co-Piloten seinen Kapitän aus dem Cockpit aus und lenkte in aller Seelenkälte die vollbesetzte Maschine in eine französische Bergflanke, nur um seinem kläglichen Ego ein Ende zu setzen. Mit der profitmaximierten Bestuhlung kehrt sogleich das Gefühl körperlicher und geistiger Enge zurück, die mein Herkunftsland umfangen hat.
„Willkommen auf unserem Flug in die schönste Stadt der Welt“, entblödet sich die Kabinenchefin nicht, uns in Zürich an Bord zu begrüßen, weil man ihr das ironiefrei in den Sprach-Chip programmiert hat. Sie sagt den Satz ohne jede Betonung auf und glaubt natürlich selbst nicht dran. Von den Bewohnern besagter Stadt heißt es, sie seien nicht nur in „Understatement“ geübt, sondern auch weltoffen und gewöhnlich weitgereist. Dann sollte ihnen bekannt sein, dass auf der weiten Welt auch andere Mütter schöne Töchter haben.
Doch oh, die Welt der Weitgereisten ist klein geworden. Sie kreisen enger und enger um sich selbst, um ihre kleinkarierten, größenwahnsinnigen Ideen und Zwangsvorstellungen, die längst keinem Reality Check mehr standhalten. Sie wollen mit dem Lastenfahrrad den Globus erobern, wenn nicht sogar Russland, und wundern sich, wenn sie ein Hyperschalljäger überholt, den sie nicht mal haben kommen sehen.
Noch vor Jahresfrist kannte das maschinenhafte Geplärre der Eurowings-Gouvernanten durch die Bordlautsprecher kein Ende, was Vorschriften zu Corona betraf: Maske, Desinfektion, Abstand, Kontrolle, Ausweis, Impfnachweis, QR-Code, Maske, Maske, Maske. Sie konnten damit fast lückenlos einen ganzen Flug über dieses zum Glück so kleine Land füllen, eine gute Stunde zwischen Freiburg und Hamburg, dann hatte man all diese Hügel und Weiler und Städele und Autobahnen und Windparks überquert, immer und immer mit dem Hygienewalzer im Ohr. Und es war alles, alles umsonst gewesen. Nicht im Sinne von kostenlos.
Die C-Wörter immerhin erspart man uns heute. Die Durchsagen auf Lidl-Niveau und in Höchstlautstärke handeln nur von kulinarischen Spar-Angeboten („als Zahlungsmittel werden Kreditkarten, Apple und Google Pay akzeptiert“), denn für lau gibt es an Bord gar nichts, nicht mal schlechten Kaffee. Wir sind schließlich nicht zum Vergnügen hier, sondern Beförderungsobjekte mit eingebauten Geldbörsen. Zusätzlich können wir deswegen („bevor wir dann unseren Landeanflug beginnen“) aus dem Rollcontainer im Kabinengang interessante Parfums ab 19,90 Euro erwerben, so viel Zeit muss sein. Zur Not fliegen wir dafür noch eine Schleife über Castrop-Rauxel. Die interessanten Parfums tragen viele Fluggäste ohnehin schon, statt Körperpflege und ohne dafür um Entschuldigung zu bitten.
Hurra, wir fliegen! Noch fliegen wir. Nicht mehr lange, dann werden sie uns auch diese Fluchtmöglichkeit – aber ich komme doch wieder, versprochen! – gestrichen haben. Ja, sie gieren schon danach. Fliegen soll nur noch für sie sein, für die Klimaschützerinnen und Antikolonialistinnen, unterwegs in dringlicher Mission zu Klimakongressen und Antikolonialismus-Kolloquien in Weltmetropolen, fast so schön wie Hamburg. Die Entscheiderinnen möchten nicht in die Zwangslage geraten, die Knie an unseren reiben zu müssen. Damit wir ihnen nicht die Destinationen verderben, wir interessant parfumierten Massentouristen.
Sie werden Wege finden, dafür kein weiteres totalitäres Verbot erlassen zu müssen, denn das würde selbst in all den Medien schlecht aussehen, die sie beherrschen. Der Preis wird es regeln. Fragen Sie, warum es in den Fußballstadien der englischen Premier League heute keine Hooligans aus der Unterschicht mehr gibt. Nicht durch Paragrafen, nicht durch mehr Polizei. Nein, weil der Besuch eines Spiels des FC Arsenal in London jetzt knapp 50 Pfund aufwärts kostet. Schauen Sie in die satten Gesichter unter den teuren Frisuren, wenn die Kamera ins Publikum schwenkt. So werden sie es auch beim Fliegen machen, und sie werden es Klima-Abgabe nennen.
Die Landung in Hamburg ist trotz heftiger Scherwinde überraschend sanft. Doch das täuscht nicht: Hier ist kein Ort der Sanftmut. Diese Stadt war immer rauh, aber jetzt ist sie auch zunehmend hässlich (Durchsage, übermorgen: „Willkommen in der hässlichsten Stadt der Welt!“). Müll liegt umher, diesen Anblick hatten sich meine Augen kurzfristig abgewöhnt. Ich muss ihn wieder neu lernen, ebenso wie das babylonische Sprachengewirr im Ohr, den Geruch der S-Bahn-Penner in ihren Urinlachen, die nicht funktionierenden öffentlichen Dienste, die allgegenwärtigen Graffiti, die Scherben, das Gegröle, die Hoodies, den Verfall.
Und sogleich, noch vor der Ankunft zuhause, noch während ich mich in das Nadelöhr des Niedergangs aufs Neue einzufädeln versuche, werde ich in eine Debatte mit einem Unbekannten verwickelt. Er will mich vom Segen überzeugen, der darin liege, Putin jetzt aber endlich zu Tode zu rüsten. Denn dieser Putin sei längst noch nicht satt. Er wolle auch uns Deutsche mit Haut und Haaren fressen. Eine weitere Zwangsneurose, mit freundlicher Empfehlung der Regierungsmedien, mit neu-grünem Anstrich und mit Wurzeln bis ins Nazireich.
„Unter deutschen Dächern“, das war mal eine TV-Serie mit freiwillig nacheinander konsumierbaren Folgen. Heute hat die Republik, die man in einer Stunde überfliegen kann, ein durchgängiges Dach mit durchgängigem Schaden. Aus der Luft war es deutlich sichtbar gewesen, dieses Wolkendach über dem künstlich klimatisierten Biotop Deutschland. Im geschlossenen Raum darunter fällt – Wunder der Klimatechnik – von November bis April ununterbrochen grauer Schneeregen. Er fällt auf graue Menschen, die ihre grauen Dinge tun und die drückende Wolkendecke als Normalität akzeptiert haben.
War das nicht immer schon so? Nein, früher war deutlich mehr Lametta. Und weniger Geschlossenes. Es gab einen hohen Himmel mit frei flottierenden Wolkenschiffen, offen für jedwede Tierform, die man in ihnen erkennen mochte. Es gab Gewissheit, Gelassenheit, Geborgenheit. Heute gibt es graue Menschen, die ihren grauen Dinge tun. Sie vermehren sich täglich und hoffen darauf, in eine graugrüne Zukunft geführt zu werden. Die erscheint ihnen leuchtend.
Aber: Pssst! Eigentlich liebe ich dieses Land. Das ist das wirklich Verrückte. Heimat, verstehen Sie? Da, wo man herkommt. Das, wo man sich mal auskannte. Und jedes Mal, wenn ich wieder unter das deutsche Dach zurückkehre, unter dem ich aufgebrochen war, ist es eine Heimkehr. Sie wird bloß beklemmender, von Mal zu Mal.
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„Heute gibt es graue Menschen, die ihren grauen Dinge tun“
Deutsche hatten schon immer einen Hang in diese Richtung, aber es stimmt, es ist deutlisch schlimmer geworden. An manchen Tagen hast du selbst in Großstädten das Gefühl daß nirgends mehr einer lebt.
„dead at thirty, buried at seventy“
(alter beatnik-Spruch)