Nein, es geht hier nicht um Transsexualität. Es geht um die deutsch-französische Freundschaft aus Sicht einer Ministerin, die „vom Völkerrecht herkommt“ – aber jedenfalls nicht von der deutschen Sprache her. Seven Minutes of Terror: eine Rhetorik-Analyse aus Notwehr.

Als Ghostwriter habe ich nebenbei mal ein paar Jahre lang im Internet Reden prominenter Persönlichkeiten analysiert, Stärken und Schwächen herausgearbeitet, rhetorische Figuren erläutert. Damals konnte ich aber noch nicht wissen, dass eine der eigenwilligsten Redebegabungen der Weltgeschichte erst noch die politische Bühne betreten würde. Unvergessen etwa ihre Schmerzensworte vor der UN-Vollversammlung zur Geburt eines ukrainischen Kriegskindes in der U-Bahn von Kiew.

Dieser Tage ergriff sie erneut das Wort, und zwar in der sogenannten Bundestags-„Debatte“ zum kontroversen Thema „60 Jahre deutsch-französischer Freundschaftsvertrag“. Nur sieben Minuten, doch es wurden die längsten Minuten meines Lebens. Und ich habe „Avatar 2 – The Way of Water“ gesehen. Hier die kommentierten Glanzlichter des frei vom Blatt interpretierten Textes, also der Live-Version, unter dem Blickwinkel der politischen Redekunst:  

„Als ich letzte Woche in Äthiopien mit meiner französischen Amtskollegin Catherine Colonna war, da war das (…) das Einfachste, was ich als Außenministerin machen kann, weil das Gespräch hätte auch komplett meine liebe Kollegin Catherine Colonna führen können.“

(Die Webseite der Bundesregierung bringt in ihrer Dokumentation des Redemanuskripts die korrekte Stellung der Verb-Konstruktion „hätte … führen können“: Sie gehört natürlich geschlossen ans Ende dieses Satzes. Baerbocks gesprochene Grammatik ist Schulhof-Deutsch, ihre Satzstellung wäre nur mit „denn“ statt „weil“ erlaubt.)

Mir ist nicht ganz klar, wie eine französische Außenministerin allein ein Gespräch „komplett hätte führen können“, außer als Selbstgespräch. Und noch weniger, warum die angebliche Möglichkeit dieser Absurdität für Baerbock „das Einfachste“ gewesen sein soll, was sie als Außenministerin „machen kann“. Eher hätte ich vermutet, dieses Einfachste sei es in ihrem Amt, einen Kaffee aus dem Automaten im Flur zu ziehen oder eine Rede bei ihrer Ghostwriterin in Auftrag zu geben und mit ihrem Logopäden einzustudieren. Was sie als Außenministerin während eines als Gespräch getarnten Monologs einer Kollegin „machen kann“, ist doch allenfalls: genervt mit den Augen rollen oder unter dem Tisch die neuesten WhatsApps checken.

„So konnten wir uns in unseren Gesprächen, sei es beim World Food Programme, bei der Afrikanischen Union oder auch bei den Ministerpräsidenten, beim Premierminister, immer gegenseitig ergänzen, aushelfen, einspringen und unsere Argumente untermauern. Das klingt ganz logisch und selbstverständlich.“

Sorry, selbstverständlich klingt das nicht, und logisch schon mal gar nicht. Wenn nur eine von beiden das Gespräch allein hätte führen können, dann wäre die andere gar nicht zu Wort gekommen und hätte weder einspringen noch irgendetwas untermauern können.

(Die „Ministerpräsidenten“ sind in der Print-Version der Bundesregierung wie von Zauberhand verschwunden. Vielleicht traten die unter der sengenden Sonne nur als Fata Morgana in Erscheinung, anders als der real existierende Premierminister von Afrika.)

„Und warum erzähle ich es? Weil es eben vor Jahrzehnten alles andere als eine Selbstverständlichkeit gewesen ist. Da wären die deutsche Außenministerin und die französische Außenministerin – gut, als Frauen schon mal gar nicht, aber auch als Männer – keineswegs zusammen gereist.“

Es war also früher unter anderem außergewöhnlich, wenn die deutsche und die französische Außenministerin als Männer zusammen gereist sind. Das glaube ich ihr / ihm / ihnen / ens sofort. Und ich würde sogar noch weiter gehen: Selbst heute ist das noch nicht völlig selbstverständlich, jedenfalls nicht in so hinterwäldlerischen Weltregionen wie Baden-Württemberg, Pandora oder La-la-Land.

„Als Konrad Adenauer und Charles de Gaulle vor 60 Jahren, im Janaur 1963, den Élysée-Vertrag unterzeichneten …“

Wer kennt ihn nicht, den legendären Charles, ausgesprochen wie Prinz Charles. Nur im Unterschied zu diesem eben doch letztendlich leider Franzose, wenn auch natürlich heute tot. Aber unsere Außenministerin mit Premium-Zertifikat der London School of Economics fühlt sich in der Sprache des World Economic Forums derart zuhause, dass sie den ollen Kalle Degohl kurzerhand anglisiert. Unbeantwortete Frage außerdem: Unterzeichneten Degohl und Adenauer eigentlich als Männer oder als Frauen? Das ist keine Petitesse für eine feministische Außenpolitik moderner Prägung!

„Und ich glaube fast, das ist mit das Wichtigste an das, was wir uns heute, 60 Jahre später, erinnern sollten: …“

… wenn auch nicht das Richtigste an das, was wir von einem Redemanuskript ablesen sollten …

„… dass Aussöhnung immer auch mutige Staatsmänner damals und heute Staatsfrauen braucht, …“

… denn außer Staatsfrauen gibt es ja heute zum Glück nix anderes mehr gendertechnisch, wo sich versöhnen könnte …

„… die sich auch gerade gegen den Widerstand in ihren eigenen Ländern den Mut haben, diesen Schritt der Versöhnung zu gehen.“

Aber wenn irgendwo noch ein drittes oder viertes Geschlecht sich den Mut dazu hätte, würde Annalena das sich großzügig auch gelten lassen.

„Und ich bin deswegen dankbar, dass unser wichtigster Nachbar zugleich heute unsere beste Freundin ist.“

(Hier konnte die Bundesregierung auch nachträglich nicht mehr viel tun. Auf der Website steht es genau so gegendert.)

Stellen Sie sich vor, Obelix hätte sich auf dem OP-Tisch in Gutemine verwandeln lassen, dann haben Sie ungefähr ein Bild des heutigen Frankreich, vom Völkerrecht her gesehen.

„Laut einer aktuellen Ipso-Umfrage …“

Gemeint ist hier vermutlich eine Umfrage der Redaktion des Yps-Heftes. Quatsch: des Ipsos-Instituts. Danke, Website der Bundesregierung!

„Mit dem Vertrag von Aachen haben wir unsere Freundschaft in den europäischen Fragen gestellt und gestärkt und zum Kern unserer gemeinsamen europäischen politischen Identität gemacht.“

Mal ganz abgesehen vom aus dem Nichts in den Satz gekullerten „gestellt“, das spontan mit einem nonchalanten „und“ an das im Skript vorgesehene „gestärkt“ gekoppelt wird, als sei nichts passiert und als ergebe das zusammen irgendeinen Sinn: Da wird also eine Freundschaft zum Kern einer gemeinsamen Identität gemacht. Haben Sie das schon mal in Ihren Freundschaften erlebt? Dass Sie da ganz bewusst mit Freund oder Freundin an den Hüften zusammenwachsen? Ich auch nicht. Eine typische Polit-Schwurbelei, staatstragend und positiv im Klang, aber leider ohne jeden Inhalt. Und ich fange noch nicht mal davon an, dass Frankreich und Deutschland heute das eine oder andere gemeinsam haben mögen (den Euro zum Beispiel), nur keinesfalls die Identität – außer in der Wunschwelt einer professionellen Gleichmacherin und Entgrenzerin.

„Aber unsere Freundschaft geht über weit mehr hinaus als Verträge.“

Ich hingegen gehe über weit mehr hinaus als meine Belastbarkeitsgrenze, wenn das hier noch lange so weitergeht.

„Und auch wir als Bundesregierung investizieren in diese Freundschaft jeden Tag.“

Ja, wir investizieren. Sogar eine zusätzliche Silbe („zi“), die über das sprachlich geforderte Maß hinausgeht. Wir tuzun mehr, als wir tuzun müssen.

„Denn wir erleben ja erneut, wie unser Leben, wie unsere Freiheit, wie unser Frieden herausgefordert wird.“

Ach ja? Von wem? Vom Franzos‘ gar? Dem Erzfeind? Verräterischer Schuft, der er ist! Missbraucht unsere siamesische Freundschaft, uns zu meucheln! Ach nein … stopp … veraltetes Skript! Gemeint ist in Wahrheit der brutale Russ‘! Der bedroht unser Leben in Frankreich und Deutschland so subtil, dass wir es gar nicht merken. Oder nur, wenn wir als getarnte Söldner aus Germany im Leo 2 durch die Ukraine kurven. Was Baerbock sich ja in ihren wildesten Träumen so schön ausmalt, nur ohne Tarnung. Andererseits: Gerade eine Ministerin der Grünen hat natürlich völlig Recht, dass unsere Freiheit heute akut bedroht ist.

„Diese enge und geschlossene Gemeinschaft, die ist auch dem engen und geschlossenen Draht zwischen Paris und Berlin zu verdanken.“

Wenn der mal keinen Kurzschluss produziert, dieser enge und geschlossene Draht. Überhaupt hat Frau Baerbock ja ein ausgesprochen vertrauensseliges Verhältnis zu Drähten und Netzen, die ihrer vor der Bundstagswahl im Deutschlandradio dargelegten Fachkenntnis zufolge bekanntlich sogar Strom speichern können. Apropos Energiewende und Klimawandel:

„Wir schaffen mit der Green Economy einen globalen Wettbewerb, um uns als Europäer ganz vorn zu positionieren.“

Na aber sicher, „wir“ Franzosen und Deutsche schaffen grundsätzlich nichts weniger als einen globalen Wettbewerb. Oder gar einen sonnensystemalen. Interstellaren. Pangalaktischen. Unser enger und geschlossener Draht kann so etwas. Das hat mir meine französische Kollegin so zugesagt, als ich gerade nicht zu Wort kam. Und wenn wir beiden was ganz doll wollen, dann können wir beiden das auch!

„Meine Damen und Herren, gerade heute, 60 Jahre nach der Unterzeichnung des Élysée-Vertrages zwischen Deutschland und Frankreich, sollten wir das genau so tun: immer wieder bereit sein, uns in die Schuhe der anderen zu setzen.“

Dann setzten sich die kleine Muck und ihre Freundin in die Schuhe der anderen und ruderten darin auf das große Meer hinaus – neuen sprachlichen Abenteuern entgegen.


TWASBO liebt Debatten. Zum Posten Ihrer Meinung und Ihrer Ergänzungen steht Ihnen das Kommentarfeld unter diesem Text offen. Ihr themenbezogener Beitrag wird freigeschaltet, ob pro oder contra, solange er nicht gegen Gesetze oder akzeptable Umgangsformen verstößt. Vielen Dank.