Diese Geschichte hätte so nicht passieren dürfen, da könnte ja jeder kommen. Da wäre ja die Welt gar nicht mehr berechenbar. Ich bin gerade mit dem Nachtzug in Luzern in der Schweiz angekommen, es ist 8 Uhr morgens, die mir völlig fremde Stadt hinter der Glasfront des Bahnhofs liegt noch im Dunkeln. Es ist winterkalt. Ich habe keine Franken in der Tasche, nur Euro, keine Wechselmöglichkeit in Sicht.

Wohin geht man in dieser Situation? Gleich gegenüber vom Bahnhof leuchtet das gelbe McDonald’s-Emblem, dort gibt es auch ein so genanntes McCafé mit Frühstücksangeboten. Eine US-imperialistische Junkfood-Bastion natürlich, aber eine Insel der Vertrautheit doch. Vielleicht kann man dort seinen Kaffee mit heimischem Geld bezahlen.

Ich trete ein und bin an diesem Morgen der einzige Kunde, schon das ist merkwürdig. Hallo, Schweizer? Viele von euch sind auf dem Weg zur Arbeit, dies hier ist die Bahnhofsgegend, der Nabel der Stadt – müsst ihr nicht frühstücken? Nein, sie müssen offensichtlich nicht.

Die junge Frau hinter der Theke ist recht klein und recht morgengrau, aber dann lächelt sie, und sie hat ein hübsches Lächeln. Ich darf tatsächlich mit Euro zahlen und werde das Wechselgeld in Franken erhalten. Och, das ist ja nett. Und dann bereitet sie einen Cappuccino zu, immer noch lächelnd, mit bedächtig präzisen Bewegungen. Es dauert, aber ich habe Zeit.

Schließlich zaubert sie auf die Milchschaumhaube ein zunächst spiralförmiges Ornament aus einem dunklen Sirup aus einer Flasche. Mit einem Löffelstiel zieht sie aus den Spiralarmen sternförmig auseinanderstrebende Abzweigungen. Es dauert nun schon fünf Minuten. Eine E-WIG-KEIT im Fast-Food-Business, während ich hinter ihr die bösen Geister unsichtbarerer McDonald’s-Manager mit Stoppuhren herumfuchteln zu sehen meine.

Aber wir sind hier in der Schweiz. Wir sind alleine zu zweit. In dieser Filiale am Morgen um acht, in dieser winterlichen Stadt, auf dieser kalten Welt. Es wird der prächtigste Cappuccino aller Zeiten, mit einem Kranz aus Blütenblättern aus dunklem Sirup auf weißem Milchschaum. Sie lächelt immer noch. Ich bin bezaubert.

Dann sitze ich im Loungesessel vor meinem Plastiktablett mit dem flüssigen Wunderwerk und bin der einzige Kunde und dies ist das doofe McDonald’s und ich fühle mich wunderbar. Und in dieser Stimmung mache ich eine falsche Bewegung und reiße die noch fast volle Tasse um und ein Schwall brauner Brühe ergießt sich über den Tisch und meine Taschen und den Fußboden. Ich springe auf. Ich renne zu ihr, wohin sonst, und frage nach Servietten oder einem Aufnehmer. Das mache sie schon, lächelt sie, und ob ich einen neuen Kaffee wolle. Ich aber insistiere, dass ich meinen Dreck schon selbst wegmachen will, und während ich noch mit dem nassen Lappen wische und tupfe, bringt sie mir ein neues Cappuccino-Wunderwerk mit einem völlig neu verlaufenden Sirup-Muster, diesmal wellenförmig. Und will kein Geld dafür. Und lächelt immer noch. Nicht zu fassen.

Da sitze ich dann in meinem Loungesessel in einer verdammten McDonald’s-Filiale und ich bin immer noch der einzige Kunde und dies ist eine fremde Stadt in einem fremden Land und ich fühle mich super und passe ganz fest auf, keine falsche Bewegung zu machen und da – da kommt eine korpulente Polizistin zur Tür herein. Sie bestellt irgendwas zum Frühstück. Ich bin nicht mehr der einzige Kunde. Und die Welt beginnt sich unerwartet wieder zu drehen.

P.S.

Das Personal bekommt das Lächeln im Grundseminar „Kundenfreundlichkeit“ eingebläut? Den Trick mit den Sirupblütenblättern haben Marketingstrategen in psychologischen Verkaufsstudien entwickelt? Blablabla, mir doch egal!