Neue Meilensteine der Gedenkkultur: Ein Datum und drei Dutzend Mahnmale erinnern an haltlose Glücksversprechen für den öffentlichen Raum
Erinnern Sie sich noch an dieses nackte graue Kerlchen hier? Das Foto von dem Dings habe ich am 28. Januar vergangenen Jahres gemacht. Weil das Dings da plötzlich stand/kauerte/lauerte. Und weil entlang des Weges, den ich jeden Tag in die City radle, über Nacht noch Dutzende mehr von seiner Sorte aufgetaucht waren. Alle sehr schweigsam, sehr grau, sehr unbenutzbar. Sehr rätselhaft. Was meine Romanautoren-Phantasie auf ungesunde Art kitzelte und die wildesten Mutmaßungen induzierte.
Doch die surrealste Erklärung offerierte mir, als ich es nicht mehr aushielt und anfragte, der Pressesprecher der Hamburger Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft(!): „Bei den Betonelementen handelt es sich um ‚Meilensteine‘. Entlang der 10 Kilometer langen Grünverbindung werden sie im Abstand von 200 Metern aufgestellt und geben die Kilometrierung an.“ Als städtischer Service für genderkorrekt „Joggende und Radfahrende“, hochtechnologisch perfektioniert durch „Platten mit den den jeweiligen Kilometerangaben“. Die müsse man auf den Sockeln nun bloß noch anbringen. Warum? Weil, was weiß ich: Corona, Wirtschaft, Krise, Verwaltung, shit happens: „Leider kommt es bei der Bauausführung wegen eines Insolvenzverfahrens der ausführenden Firma zu Verzögerungen. Das Bezirksamt-Hamburg Mitte hat die Bauaufsicht und bemüht sich um eine schnelle Lösung.“
Tage wurden zu Wochen, Wochen zu Monaten, Monate zu Erdzeitaltern. Eine Nachfrage an das Bezirksamt Hamburg-Mitte ließ ich dann trotzdem bleiben, man muss ja zwischendurch auch mal Geld verdienen. Inzwischen ist das Rätsel aber auch ohne fremde Hilfe gelöst: Dank intensiver Feldforschung habe ich herausgefunden, dass es sich um hochwirksame Steuerzahlerstolpersteine handelt, besonders nachts und in angetrunkenem Zustand (der Steuerzahler, nicht der Stolpersteine). Den derzeitigen Status habe ich zum heutigen 1. Steuerzahler-Stolperstein-Gedenktag erneut fotografisch festgehalten. Heute, wo komischerweise schon wieder Coronakrise ist. Und Wirtschaftskrise. Nur Verwaltungskrise nicht, Gott sei Dank.
Sie fragten sich doch neulich am Frühstückstisch, was aus all den vielen Verwaltungsverwaltungen hinten so rauskommt, die seit Jahren überall im Land aus dem Boden schießen, um Grün*innen mit abgebrochenem Völkerrechts-Studium ein behagliches Auskommen mit Pensionsanspruch zu sichern, und die Sie mit Ihrer Eselsgeduld zwangsfinanzieren. Vielleicht dienen Ihnen die folgenden Bilder zur Orientierung. Heute sehen die Ergebnisse jedenfalls schon sehr viel kreativer aus als vor einem Jahr:
„Moin Hamburch!“ – mit „ch“ wie in „Kirche“. Großartig! Beziehungsweise großartich. Erinnert mich daran, dass wir im Rheinland immer zum „Spocht“ gingen, mit „ch“ wie in „Nacht“. Es gab da im Regionalfernsehen sogar mal eine (satirisch gemeinte) Nachrichtensendung, bei der hinter dem Moderator die Rubrik „Spocht“ eingeblendet wurde. Hier und jetzt also Hamburch. Als ich ungefähr sieben war, malte ich auf mein Kinderbild einen Wegweiser, der nach „Hambork“ wies. Tatsächlich hat mich das Schicksal dann nach Hamburch geführt. Ich bin für die offizielle Einführung dieser Schreibweise.
Auch süß und gar nicht mal wenig dekorativ: Kolorierte Kunst am Stolperstein macht das schmerzende Schienbein gleich wieder heile. Passend designtes Pflaster drauf, alles gut. Aber mein bisheriger Lieblings-Monolith ist dieser hier:
Deep, oder? Da mal drüber nachdenken! Und alles in allem: bitte so lassen. Kein Handlungsbedarf. Verwalte dich weiterhin selbst, Verwaltung, und gut ist. Ich zahl das. Und melde mich am 28.1.2023 wieder von dieser Stelle.
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