Wenn die Lockdowns ihre vernichtende Wirkung getan haben, werden Orte wie diese Geschichte sein: Abgesang auf die alten Hamburger Gaststätten, die keine Profitcenter waren, aber ihre Kieze lebendig erhielten. Eine Politik, die nur Panik und Zusperren kennt, gibt ihnen jetzt den Rest.
Was hier an Ihnen vorbeizieht, das sind Kneipen. An Straßenecken und in Mietkasernenblocks. Ich weiß nicht, ob Sie das noch kennen. Nicht nur wegen Corona, sondern auch, weil Sie als besserverdienende Blogleser mit bildungsbürgerlichem Hintergrund da vermutlich nicht reingehen würden. Zugegeben, es sind nicht unbedingt Designerläden. Dafür alle fußläufig von meinem ebenso prachtvollen Wohnsitz aus erreichbar – was jetzt auch nicht heißt, dass ich in den meisten dieser Läden schon gewesen wäre. Genau genommen habe ich nur in einen einzigen jemals meinen Fuß gesetzt. Aber wer hinein wollte, konnte das spontan und ohne großes Gedöns.
Sie mögen die Ästhetik dieser Fassaden und Fenster bespötteln. Sie mögen sich über den einheitsroten Backstein mokieren, der aus Sicht der feineren Hamburger Stadtteile eher „sozial schwache“ Strukturen signalisert – im farblichen Gegensatz zu den weißen Villen an Alsterufer und Elbchaussee und dem Mintgrün der sanierten Altbaufassaden von Ottensen oder Eimsbüttel. Sie mögen sich auch mit Schaudern daran erinnern, was das früher oft für ein proletarisches Gegröhle und Gehupe und Scherbengeklirre war nach 22 Uhr. Das spielt aber alles keine Rolle. Eine Rolle spielt, dass auch der Erste Bürgermeister dieser Stadt ebenso wie die Kanzlerin in der Dämmerung ihres (Ab-)Schaffens nicht darauf käme, was diese Fotoparade hier ihnen sagen soll.
Bild für Bild sind das soziale Orte. Räume, in denen früher Menschen zusammenkamen, um bei Bier und Korn einen Scheißtag zu vergessen. Um andere zu treffen, denen es genauso ging. Um einfach Spaß zu haben, Stammtischreden zu schwingen, auf Sky die Liga in der Großbildglotze zu verfolgen, oder zum stillen Wirkungstrinken. Und zum Quarzen natürlich, nicht zu vergessen. Das durfte man in den meisten dieser Lokale noch, da sie als Raucherkneipen ausgeschildert waren. Die Faustregel für eine Tresen-Therapie lautete: angefressen reingehen, angeschiggert rauskommen. Aber erholt. Ein wenig gelockert, ein Stück weit erleichtert, nicht nur um Kohle. Ein wenig fitter für den nächsten grauen Tag.
Es ist eigentlich wahnsinnig arrogant und ignorant zugleich, das eine „sozial schwache“ Wohngegend zu nennen. Im Gegenteil: Diese Kneipen waren ihr starkes soziales Rückgrat, ihre gut vernetzten Nervenknoten. Die Nachrichtenbörsen und Arenen für Lebenskünstler, Rocker, Hartzer, Sozialrentner, Minijobber, kleine Handwerker, große Sprücheklopfer, Lottospieler, HSV-Fans, Alimentezahler, lustige Witwen, einsame Herzen und verlebte Zampanos. Mit einem Wort: für das Personal aus Glumms Geschichten. Die kennt die Kanzlerin auch nicht, ihr angeblicher Christengott (das „C“ in CDU) bewahre sie davor.
Warum lasse ich diese Orte hier noch einmal vorbeiparadieren? Weil sie bald nicht mehr da sein dürften. Wie Sie sehen, sehen Sie keine Menschenseele, nirgends. Lockdown olé. Es ist jetzt bald ein halbes Jahr am Stück, dass man sie alle zugleich abgeschaltet hat. Zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit. Sie machen sich kein Bild, was das für Stadtteile wie diese bedeutet, darum habe ich Ihnen wenigstens diese Bilder gemacht. Wo das Kneipensterben noch nicht durch Gastroketten, Mietwucher und Knebelverträge durch Brauereien oder Sportfernsehanbieter vollzogen wurde, erledigt nun der Würgegriff der Politik den Rest. Mancherorts werden schon die Möbelwagen gepackt. Die Zettel an den Fenstern und Eingangstüren, die noch im Herbst über Hygienekonzepte und Maskenpflicht und Abstandsregeln aufklärten, vergilben vor sich hin. Sie haben das Ziehen des Steckers nicht verhindern können.
Wie man den Stecker wieder hineinsteckt, ist den Herrschenden egal. Hamburgs Erster Bürgermeister tanzt nach der Pfeife aus dem Kanzleramt. Und die Kanzlerin setzt dieser Tage lieber „Stein und Bein in Bewegung“, um Deutschland noch totaler erstarren zu lassen. Am 13. März war der erste Jahresstag der Lockdowns. Ein Jahr, in dem man von hochbezahlten Politikern Konzepte statt fruchtloser Panikpolitik hätte erwarten dürfen. Zielführend haben sie höchstens ihren eigenen Vorteil gesucht – und das Zusammenleben eines ganzen Landes vor die Hunde gehen lassen. Siehe auch: Vereine, Chöre, Kunst und Sport.
Immer wieder steht mir der alte Mann vor Augen, mit dem ich unbekannterweise auf dem Bürgersteig ins Gespräch kam. Nach wenigen Minuten begann er zu weinen, weil seine Frau gerade an Krebs gestorben war und weil die Kneipe, in die sie früher oft gegangen waren, geschlossen hatte. Also richtig geschlossen, nicht nur wegen Ruhetag. Es sind Tausende wie er, die mit eh schon immer prekären und vom Dauerlockdown bald endgültig ruinierten Orten wie diesen alles verloren haben, was ihnen geblieben war an Miteinander. Und wir reden hier noch nicht mal von den Wirten und 450-Euro-Tresenkräften und deren Existenzen.
Vielleicht möchten Sie sich jetzt empören: „Was für lächerliche Luxus-Sorgen, wo doch unser aller Leben Tag für Tag auf dem Spiel steht!“ Vermutlich definieren wir Leben einfach ein wenig unterschiedlich. Aber malen Sie sich mit Ihrer blühenden Phantasie dann auch gerne mal aus, wie es an Orten wie diesen in den nächsten Jahren aussehen wird: erst der lange Leerstand, dann Abriss und Ausfüllen der Lücke mit immer überteuertem Kleinzellen-Wohnraum, möglichst Eigentum. Kastenförmige, jetzt ununterbrochene Wohnwüsten, so weit das Auge reicht, diesmal immerhin vermutlich hie und da auch weiß getüncht. Dann haben die, die von Panik, Pest und Pandemie vortrefflich profitieren, diesen alten Quartieren endgültig das gewachsene Rückenmark ausgesogen. Erst dann ist ein Stadtteil wirklich „sozial schwach“.
Gesund bis aufs Gerippe werden die Menschen allerdings sein, die dort hübsch isoliert voneinander und ohne gemeinsamen Zielort in der Nachbarschaft hausen werden. Bis dahin ist dann auch die nächste Generation der Playstation online bestellbar. Und die Politik wird sich freuen: Isolierte Menschen sind viel leichter regierbar.
Eine Schänke mit dem Namen GEBOREN 1960 … dürfte nur unter Strafe geschlossen werden.
Genau genommen heißt sie „Anno 1960“, also „Im Jahr 1960“. Aber jeder weiß natürlich, dass du im Jahr 1960 geboren bist, sodass für das Lokal tatsächlich Öffnungspflicht bestehen müsste. Wenn du mal in Hamburg bist und im „Hammer Weine“ eine Lesung machst (so in zehn bis zwölf Jahren, wenn der politische Wahnsinn vorbei ist und wir wieder vor die Tür dürfen), gehen wir auch mal ins 1960, das liegt nämlich fast um die Ecke.
Ich hab tatsächlich „Geboren 1960“ gelesen auf dem Kneipenschild. Weil ich 1960 geboren wurde. Aber Anno 1960 ist ja jetzt nicht so weit entfernt. Das traurige an der Entwicklung, die du schilderst, hat ja lange vor Corona begonnen, und wird auch nach Corona weitergehen: das Publikum, das solche Eckkneipen besucht, stirbt weg. Wer heute wenig Kohle hat, der geht nach der Arbeit kaum noch an den Tresen. Ein paar Bierchen kippen, seinen Frust mit dem Tresennachbarn teilen. Heute verkriecht sich jeder daheim. Netflix, Play Station. Im Grunde ist die Vereinzelung das große Thema unserer Zeit.
Papperlapp! Wenn die Medizin nicht wirkt, muss eben die Dosis erhöht werden! Totale Ausgangssperre, bis Mutti die Zahlen wieder gefallen! Alle einsperren, bis die ganze Welt immun ist! Never ending Lockdown, bis keiner mehr hustet! Tod den Mutanten!
Aber ernsthaft: Hätte die Lockdown-Strategie auch nur zu einem einzigen Tag Verdienstausfall auf Seiten der Leute geführt, die so etwas beschließen, dann wäre der Spuk bereits vor einem Jahr beendet worden. Das derzeitige Szenario lässt sich in seiner kompletten Planlosigkeit wahrscheinlich noch ewig hinziehen. Interessant wäre, ab wann die Stimmung der Mehrheit tatsächlich mal kippt, ob überhaupt und wenn ja, wohin … 😉
In der Realität beobachte ich allerdings schon seit Monaten, wie wenige Menschen sich abseits vom medialen Getöse tatsächlich noch für den ganzen Schwall an absurden Maßnahmen-Listen und -Katalogen interessieren. Ich sehe hier in Berlin immer mehr Menschen, die sich öffentlich maskenfrei begegnen, Fußball spielen, auf der Straße trinken etc. Da würde der körnerfressende Lauterbach glatt einen Herzanfall bekommen (offiziell dann natürlich an COVID verstorben).
Das mag ja alles sein, dass die Menschen sich in ihrem persönlichen Umfeld nach Möglichkeit nicht mehr um die Maßnahmen scheren. Aber das wird die großen Eckpunkte der neuen Ordnung nicht aus der Welt schaffen: Impfzwang (oder keine Reise bzw. Teilnahme am kulturellen Leben), Maskenpflicht in den meisten gesellschaftlichen Zusammenhängen, Auftrittsverbote für Künstler und Absage eines Großteils kultureller Veranstaltungen, Löschung und Stigmatisierung maßnahmenkritischer Stimmen, Home Office und Home Schooling mindestens als Halb-Normalität, nahezu Unmöglichmachung des lokalen Einzelhandels etc. etc.
Damit hat der körnerfressende Lauterbach dann doch unterm Strich gewonnen, oder?
Für eine neue „Ordnung“ ist das Ganze doch reichlich unordentlich und stümperhaft organisiert. Da gibt es doch keinen erkennbaren Plan, keine langfristige Perspektive. Aber wie auch immer: Am Ende sitzen da leider Leute, die Entscheidungen treffen, deren Konsequenzen sie selbst nicht ausbaden müssen. Dass man denen auch einfach mal den Stecker ziehen könnte (im Herbst sind wieder Bundestagswahlen, glaube ich), darauf kommen die Leute leider immer nie so richtig …