Wie der Driesen einmal seinen inneren Friesen channelte, Kafkas Gregor Samsa sich in Piet Klöver aus Varel am Jadebusen verwandelte und Thomsens Heiko in dieser Sache eine plattdeutsche Expertenkonferenz einberief.

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Moin! Als geborener Rheinländer darf ich seit gestern mit Fug und Recht behaupten, die Komfort-Zone meiner Sprachlandschaft erfolgreich verlassen zu haben. Denn gestern war ich im Ohnsorg-Theater. Das Ohnsorg-Theater ist das Gegenstück zum „Volkstheater Millowitsch“ in Kölle am Rhing, wo ich 13 Jahre gelebt habe. Also in der Stadt, nicht in dem Theater. Beim Blick in Wikipedia musste ich gerade feststellen, dass das Volkstheater seit 2018 nicht mehr existiert. Aber der Volksschauspieler Willy Millowitsch dürfte älteren Lesern selbst in Hamburg schon noch ein Begriff sein.

Was Millowitsch in Köln war, war Heidi Kabel am Ohnsorg-Theater in Hamburg: die gute Seele vom Dienst, wenn es ums heimatverbundene Theater in der jeweiligen Landessprache ging – und ich meine damit ausdrücklich nicht Deutsch. Sondern etwas viel Wärmeres, Sentimentaleres, manchmal allerdings auch Brutaleres: Platt.

Hören Sie sich mal um, wer das heute noch kann: vielleicht noch Ihr Opa oder Ihre alte Erbtante vom Dorf. In der Großstadt Hamburg dürften es geschätzt noch fünf Prozent der ach so weltgewandten Einwohner sein, die ihre geographisch eigentlich vorgeschreibene Stammes-Sprache beherrschen. Von den U-30ern: gefühlte 0,5 Prozent.

Schade. Denn wie ich jetzt feststellen durfte (und heimlich immer schon bei meiner Sippe aus dem Emsland bewundert habe), spannt das Plattdüütsch eine ganz eigene Gedankenwelt auf. Dazu gleich mehr. Hier erstmal der Anlass:

Gestern also wurden im Ohnsorg-Theater die Sieger des diesjährigen Platt-Erzählwettbewerbs „Vertell doch mal!“ von NDR und Radio Bremen gekürt. Und mein Beitrag „Piet sien Verwanneln“ („Piets Verwandlung“) war zwar nicht unter den fünf preisgekrönten, aber bei rund 1000 Einreichungen doch einer der besten 25. Sodass man mich zur Matinee einlud und die Story außerdem in diesen gestern vorgestellten Sammelband aufnahm:

Die Klügeren meiner Leser (und wer wäre das nicht) werden jetzt missstrauisch einwenden: Ja, aber woher hast du denn so schnell so fließend Platt gelernt?

Clevere Leser! Kritische Leser! Solche möchte man haben als Autor.

Natürlich kann ich so gut wie gar kein Platt. Ich verstehe es zwar (weitgehend), aber schreiben oder gar sprechen? Live? Du meine Güte! Doch wozu haben wir die arbeitsteilige Gesellschaft? Denn Thomsens Heiko, der kann Platt. Hat er sich selbst draufgeschafft, einfach so, aus Liebe zur S(pr)ache. Und als Deutschlehrer an einer Hamburger Schule hat er es da natürlich schon genetisch viel einfacher als ich.

Also haben wir upgeteamt, wie man auf Plattdütsch Denglisch sagen würde: ein Team gebildet. Die Story ich, die Übersetzung er. Genauer gesagt war überhaupt schon die Teilnahme Heikos Idee; ich hätte ja im Leben nicht, aber niemals!

Nun bin ich ja immer sehr dafür, den Übersetzer ebenso zu würdigen wie den Autor, also eben auch mit Namen über der Geschichte. Wollte Heiko aber partout nicht, wegen möglicher Disqualifizierung oder so. Wie sich nun jedoch rausstellte, waren die Gewinner des immerhin mit 1000 Euro dotierten 2. Preises ein Vater-Sohn-Gespann, die sich das genau so aufgeteilt und mit ihren beiden Namen ins Rennen gegangen waren. Tja. Wieder was gelernt – fürs nächste Mal.

Aber ich wollte Sie ja noch an den nahezu grenzenlosen Sprachwelten des Plattdeutschen teilhaben lassen: Meine Geschichte musste das Wettbewerbsthema „As’n Droom“ („Wie ein Traum“) treffen. Was lag da näher, als sich vom großen Kafka und seiner „Verwandlung“ inspirieren zu lassen. Wobei: Ich habe der Geschichte eine neue Wendung verliehen und sie an den unwahrscheinlichsten Ort der Welt verlegt, nämlich ins ostfriesische Varel an den Jadebusen. Aus Gregor Samsa wurde dabei Piet Klöver.

Und wenn Sie jetzt mal kurz die Zärtlichkeit und Tiefe der plattdeutschen Sprache auf sich wirken lassen wollen, dann genügt als Vergleichsbasis der legendäre erste Satz der „Verwandlung“, der auf Hochdeutsch bekanntlich lautet:

Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt.

Nun kann man das auf Platt nicht einfach Wort für Wort übersetzen (so wie meine ganze Geschichte nicht). Ich habe gelernt, dass die Grammatik des Plattdeutschen ganz andere Wege nimmt als das oft verschraubte Hochdeutsch. Da wird nicht von hinten durchs Knie in die Brust geschossen, sondern der Satzbau folgt meist dem naheliegenden Gedanken-Bildungsgang. So wie der Landmann das Feld ja auch nicht im Zickzack beackert, sondern in geraden Furchen.

Heiko Thomsen, dieser Pädagogen-PedantGigant, weiß so was natürlich. Und hat es sich daher nicht nehmen lassen, den so wichtigen, kafkaesken Einstieg in die Geschichte von drei verschiedenen Plattdeutsch-Experten nachbauen zu lassen – in drei verschiedenen Regional-Dialekten. Die Ergebnisse hat er mir dann zur Wahl gestellt. So geht industrielle Platt-Produktion, meine Damen und Herren! Im Einzelnen sah das wie folgt aus, bitte lesen Sie sich das selbst laut vor:

As Gregor Samsa een Morgen ut hiddelige Drööms upwaak, fünn he sik in sin‘ Bett to een överbaasig Untüüch verwannelt.

Ostfälisches Plattdeutsch

Hiddelige Drööms finde ich schon deutlich verworrener als unruhige Träume, und auch das överbaasig Untüüch ist ungeheurer als das ungeheurere Ungeziefer. Aber da geht ja vielleicht noch was anderes. Zum Beispiel:

„Eenmal mörgens, as Gregor Samsa waak worr – he harr unruhig drömt -,  funn he sük in sien Bedd in en gräsig Untüüch verwannelt.“

Ostfriesisches Plattdeutsch

Man sieht: Manchmal verlässt der Landmann auch die geraden Ackerfurchen, vor allem nach dem sonntäglichen Frühschoppen. In die Geschichte geschafft hat es dann schließlich diese Variante:

As Gregor Samsa an en Morgen opwaken dee ut unrusig Drömen, funn he sik in sien Bett verwannelt to en unbannig Aastüüch.

Schleswiger bzw. nordfriesisches Plattdeutsch

Aber ist das nicht alles ganz und gar herrlich? Ich wüsste zu gern, was F. K. dazu sagen würde.

Jedenfalls kam es so zustande, dass meine bzw. Kafkas Geschichte platt gemacht wurde. Also, wenn Sie den Volks-Autor Oliver Driesen demnächst im Bücherregal zwischen Klaus Groth und einer Heidi-Kabel-Biographie finden: Jo, dat mutt nipp un nau so!