In Ihren Albträumen marschieren überall diese Ewiggestrigen auf? Was da wohl vorgeht im kranken Kopf von Trump, möchen Sie wissen? Vorsicht, dass Ihr Wunsch nicht in Erfüllung geht: Zum Vorschein könnte eine unbequeme Wahrheit kommen.

Sie fragen sich also, warum diese Leute sich nach „früher“ zurücksehnen. Sie finden die so herrlich gruselig, diese verzerrte und verzogene Gedankenwelt, diese Unfähigkeit, im Heute zu leben. Eine Innenansicht der Ewiggestrigen, der Deutschlandfähnchenschwenker, AfD-Sympathisanten, Gelbwesten, Werte-Union-Konservativen, alten weißen Männer und all der anderen Nazis, denn so heißen die doch zusammenfassend bei Ihnen: Sie möchten diesen kurzen, schmutzigen Thrill?

Kommen Sie, ich nehme Sie mit auf einen kleinen Spaziergang: durch Ihren eigenen Kopf.

Sie zum Beispiel sehnen sich – vorausblickend in eine bessere Zukunft – nach einer Welt ohne Trump, richtig? Genauer gesagt: einer Welt nach Trump, denn Sie sind ja progressiv, nicht reaktionär. Sie blicken voraus in eine Welt, in der all das endlich aufhört, die Lügen, die Manipulationen, die psychopathischen Selbst-Überhöhungen, die korrupte Vetternwirtschaft, der offene Rassismus, das Ausspielen aller gegen alle, der Nihilismus, der Vulgärkapitalismus zugunsten des einen Prozent, die unbeholfenen Hasstiraden, die präsenilen Stammeleien.

Nun, ich habe schlechte Nachrichten. Natürlich wird es eine Welt nach Trump geben, egal, ob der jetzt noch eine Amtszeit dranhängt oder sich irgendwann zum König auf Lebenszeit (und alle Zeit danach) ernennt. Die Biologie ist da gnadenlos. Irgendwann beginnt die Nach-Trump-Ära. Aber all das, für das er jetzt noch steht, wird dadurch trotzdem nicht mehr verschwinden. Es ist der neue Standard, an den sich alle, die als Kontrollinstanzen infrage kämen, inzwischen gewöhnt haben. Egal, wer danach kommt: Die Methoden und die dazugehörige Sprache sind nun etabliert. Am 7. Oktober zum Beispiel twitterte der Präsident, und der Zusammenhang ist beinahe wurscht:

Wenn die Türkei irgendetwas tun sollte, das ich in meiner großen und unerreichten Weisheit als unzulässig erachte, werde ich die Wirtschaft der Türkei vollständig zerstören und pulverisieren (das habe ich schon früher getan!).

In meiner großen und unerreichten Weisheit. Zerstören und pulverisieren. Die Wirtschaft der Türkei. Schon früher getan. Ein vollkommen wahnsinnig gewordener Machthaber, doch kein Aufschrei in den Medien, nicht einmal in der Trump hassenden New York Times, die das Präsidenten-Statement lediglich unkommentiert in einen Artikel einbaute. Diese neue Normalität haben durch einen jahrelangen Abnutzungskrieg Trumps Möglichmacher geschaffen, Raubtierkapitalisten wie der kürzlich verstorbene Spendenkönig der Republikanischen Partei, David Koch.

Deren Stiftungen und Think Tanks sind gut eingespielt, die Netzwerke geknüpft und sturmerprobt. Lektionen wurden gelernt von denen, die davon profitierten oder noch zu profitieren hoffen. Machtspielregeln wurden neu definiert, die zugehörigen Werkzeuge rekalibirert. Auch die intellektuellen und moralischen Kompasse sind entsprechend eingenordet, und die Marschroute heißt: munter hinunter. Also peilen Sie tiefer, wenn Sie wissen wollen, wohin die Reise geht. Und dann noch ein wenig tiefer. Ah, da kommt endlich der neue Horizont in Sicht, the new normal. Vergessen Sie das „N“ für Norden. Lassen Sie sich vom neuen „U“ auf der Windrose leiten. Unten.

Was nach Trump kommt, ist ein noch schlimmerer Horror. Ich wäre ja gerne optimistisch, aber das ist nur zwangsläufig. Eine historische Gewissheit, die sich in zwei Etappen berechnen lässt. Erster Schritt: Zeichnen Sie einfach einen Zeitstrahl von Nixon („If the President does it, it’s not illegal“, schlimmer kann es nicht kommen) über Reagan („We begin bombing in five minutes“, schlimmer kann es nicht kommen) und G. W. Bush („I know the human being and the fish can coexist peacefully“, schlimmer kann es nicht kommen) bis zu Donald Trump (es kann schlimmer kommen). Zweiter Schritt: Bitte extrapolieren Sie.

Es gibt Verheerungen, die kann man nicht rückgängig machen. Was einmal abgeschmirgelt wurde von der Substanz, das lässt sich nicht wieder draufpudern. Das verfliegt mit dem Wind – und ist sodann verflogen. Naturgesetz: Niveausenkungen entwickeln Sogwirkungen. Es hat mit der Gravitation zu tun, die es auch in Gesellschaften gibt. Wenn Sie in lockerem Sand eine Grube schaufeln, bricht sie von den Rändern her weiter ein, immer weiter und weiter in das gerade noch höher gelegene Umfeld hinein, bis alles auf dem neuen Minimalniveau angekommen ist.

Dabei zieht der Infarkt der Werte und Worte den Kollaps der materiellen Tatsachen nach sich wie der Blitz den Donner. Eine verlässliche Kettenreaktion. Nehmen wir wieder Trump: Die Vulgär-Rhetorik gewinnt Wahlen, der Wahlgewinner macht Steuergeschenke, die Reichen werden dadurch reicher, aber die öffentlichen Investitionen schmelzen weg wie die Gletscher, die Infrastruktur verrottet, die Bildung siecht dahin, Bildungsarmut verstärkt materielle Armut, beide zusammen inflationieren die Ignoranz, Ignoranz gebiert Feindbilder, Feindbilder lassen sich lenken und kanalisieren, die Skrupellosen haben noch leichteres Spiel, das private Kapital bündelt sich in noch weniger Händen, die Sozialstandards können noch weiter gesenkt werden – es ist nicht aufzuhalten, wenn die Dynamik einmal ein kritisches Momentum überschritten hat.

Man benötigt eine gewisse Lebenserfahrung (und Bildung, leider), um dies erkennen zu können. Ist man jünger und weniger belesen, denkt man noch, es müsse jetzt nur mal wieder so ein Obama (oder ein Habeck) daherkommen, und die Dynamik des Niedergangs sei gestoppt. Nur war auch Obama gleichermaßen Produkt und Dynamo der Abwärtsspirale: als der Präsident, der beispielsweise als erster ohne mit der Wimper zu zucken regelmäße und systematische politische Drohnen-Morde auf dem Gebiet souveräner fremder Staaten verantwortete. Jenseits jeder völkerrechtlichen Legalität. Die von ihm neu eingeführte Sitte wird bis heute weiter gepflegt.

Unterdessen hielt der erste nicht-weiße Präsident der USA sehr eloquente Vorträge über Werte und Visionen, mit einer charismatischen First Lady an seiner Seite. Allein: Auch in Obamas beiden Amtszeiten wurden die Reichen reicher und die Armen ärmer, aber mit mehr Stil. Er hatte die besseren Medienkontakte und Redenschreiber als Trump. Und was die Korruption „demokratischer“ Spitzenpolitiker angeht, nun ja: Fragen Sie bitte auch den Clinton-Clan.

Trump ist eine direkte Folge der Clintons und Obamas. Es ist mittlerweile gut dokumentiert, dass er trotz aller Hilfen aus Russland kein Bein auf den Boden bekommen hätte, wenn sich das „progressive“ Establishment nicht weit über die Probleme der Leute in den sogenannten Flyover States hinaus erhoben hätte. Und wenn es nicht auch noch den einzigen demokratischen Präsidentschaftskandidaten mit Siegesschancen hinausgemobbt hätte.

Dafür haben Millionen Wähler ihnen den Stinkefinger gezeigt und den orangefarbenen Heiland mit dem kleinen mentalen Gesundheitsproblem gewählt. Seine Partei macht ohnehin jede seiner Irrsinns-Ausgeburten mit, solange die „tax brakes“ kommen. Aber auch die sogenannten Demokraten, deren Spitzen ganz genauso privilegiert und verstrickt sind wie die der Republikaner, verfolgen höchstens das politische Ende des Mannes. Nicht das seines Systems. Es nützt schließlich auch ihnen.

Nein, das große Aufatmen nach Trump, es wird vor Doppelmoral nur so triefen. Nach vorne heraus werden sie wieder schöne Reden halten, in den Hinterzimmern aber gründlich durchsortieren, welche Werkzeuge aus Donalds Kasten sich bewährt haben, um die eigene Machtstellung auszubauen. Übrigens auch hierzulande, im scheinbar so bieder-braven Merkeldeutschland. Es gibt mittlerweile auch bei uns genügend Krawallkapitalisten und Krisenprofiteure, Grundrechte-Einschränker, Stigmatisierer und Totschläger des demokratischen Diskurses, die gierig vom faszinierenden Bad Guy jenseits des Atlantiks gelernt haben.

Bei uns nämlich spielt sich im Kern manches sehr ähnlich ab wie in Amerika, auf das Sie so selbstgewiss herabblicken zu können meinen. Auch bei uns haben die Mächtigen, die Lautstarken und die Profiteure schnell und leise Ihren Trump studiert, während sie ihn aus sicherer Distanz ankläfften, auf dass es zuhause beifällig registriert werde. Sie tarnen es mehr oder weniger gut, aber ich versichere Ihnen: Sie studieren längst fleißig seine Manipulationsmethoden, besonders intensiv derzeit die digitalen Möglichkeiten.

Auch die selbsternannte deutsche „Elite“ interessiert sich als politische Klasse ganz arg dafür, wie man öffentliche Gelder noch geschmeidiger in private Taschen umlenkt. Wie man verbliebene soziale Standards und Normen aus der Welt schaffen kann. Wie man Feindbilder schärft und nutzbringend einsetzt, wobei man sich zunehmend auch geistiger und körperlicher Schlägertrupps bedient. Wie man ausgrenzt, um politreligiöse Dogmen durchzusetzen. Wie man gesellschaftliche Gruppen gegeneinander in Stellung bringt, zu Lagern und Wagenburgen macht und so die Kontrolle über alle zugleich gewinnt (das gute alte Motto „divide et impera“). Was man tun muss, um ein leicht lenkbares Lumpenproletariat heranzuzüchten und in Schach zu halten.

Und immer wieder: wie man mit den digitalen Instrumenten von heute Schritt für Schritt eine dezent „gelenkte Demokratie“ formatiert. Von China lernen heißt da übrigens neuerdings siegen lernen; vielleicht möchten Sie sich kurz mit deren „Social Scores“ befassen. Dann sind Sie informiert, wenn es eines Tages auch hier vom Punktestand in der Wohlverhalten-Datei abhängt, ob Sie den Führerschein machen oder sich einen Hund anschaffen dürfen.

Ob Sie oder ich das alles so haben wollen, ist völlig egal. Denn wir haben schon so viel Fahrt aufgenommen, dass Bremsen kaum noch eine Option ist. Anhalten und Umkehren: nahezu unmöglich. Auf welcher Grundlage denn auch? Tatsachen? Fakten sind heute Geschmacksfragen; sinnlos, noch darüber zu streiten. Trump und dem modernen „Journalismus“ sei Dank sind Fakt und Fake so gut wie nicht mehr unterscheidbar – ein großer Erfolg für die Desinformationsstrategen im Hintergrund, auf den viele lange und hart hingearbeitet haben. Denn jetzt lassen sich beliebige Wahrheiten konstruieren, je nach Bedarf.

Ja, das war im Ansatz immer schon möglich, aber „damals“ ließ sich irgendwo noch ein Boden der Tatsachen finden, auf dem Lügengebilde hart aufschlugen und zerplatzten. Heute fällt man ins Bodenlose. Sie möchten zum Beispiel an „Chemnitz“ glauben, weil es ja schließlich in der Zeitung steht? Bitte schön, es gibt da ein Zwölf-Sekunden-Video als Beweisgrundlage. Sie meinen, dass „Chemnitz“ ganz anders war? Bitte sehr, auch dazu gibt es Material, das sogar in Hülle und Fülle.

Zahlen, Daten und Fakten sind jetzt Glaubenssache. Es wird unter diesen Umständen keine Bundestags- oder Europawahl mehr geben, bei der nicht das eine Lager das andere der Fälschung bezichtigen wird. Es wird kein Amt mehr vergeben werden, ohne dass lautstarke Kräfte die Amtsperson einer heimlichen Agenda neben ihrer öffentlichen verdächtigen. Es tritt aber auch niemand mehr aus persönlichem Verantwortungsbewusstsein von einem gut dotierten Posten zurück. Es wird keine gesellschaftliche Initiative, Vereinigung oder Heilsbringer-Persönlichkeit gleich welcher Richtung mehr auftauchen, die nicht im Verdacht der Lenkung und Finanzierung aus dunklen Quellen steht. Nicht selten sogar aus sehr guten Gründen.

An unanfechtbaren Gewissheiten gibt es indes auch im sich neu herausbildenden System durchaus einige. Nur eben andere, als die „Väter des Grundgesetzes“ sich das einmal erträumt haben mögen: Wer Unvollkommenheiten einräumt, hat verloren. Wer clever lügt, bleibt unbehelligt. Wer schreit, hat Recht. Wer denunziert und stigmatisiert, kommt weiter. Wer sich jeder Kontrolle entzieht, darf den „Souverän“ am dreistesten abzocken und dabei noch mit Füßen treten. Im kommenden, supranationalen Superstaat ohne Grenzen in jeglicher Hinsicht ist all das the new normal.

Sehen Sie, und da spätestens kommen jene ins Spiel, in deren Köpfen Sie sich mit wohligem Schauer umschauen möchten: Im Nazi seinen Gehirnwindungen, was für ein Horror! Wobei Nazi, siehe oben, wie in der neuen Normalität üblich keine belegbare Bezichtigung ist, sondern als Passepartout für alle steht, deren Meinung Sie nicht teilen und mit deren Argumenten Sie sich nicht auseinandersetzen möchten. Alle zum Beispiel, die sich hoffnungslos nach der guten alten Hornbrillen-Betriebsräte-BRD sehnen. Weil sie mit ihrer sozialen Marktwirtschaft, ihren Checks and Balances so unwiederbringlich ist. Ebenso wie die historisch kurze Phase, in der es bei uns einen Ansatz von Debattenkultur gab.

Die Betagten, die Belesenen, die Besonnenen und Besorgten, die davor warnten, was kommen könnte, wenn ein politisches Lager meint, alternativlos und lediglich selbstlegitimiert durch Wände gehen und auf der „dumpfen Masse“ herumtrampeln zu können: Da paradieren sie in einer langen Reihe an Ihnen vorbei. Diese Sehnsucht nach gestern, da kommt sie her. Aus der Gewissheit: Wir können nachher nicht mehr zurück.

Stattdessen leben wir jetzt in Ihrer Welt. An deren weiteren Verfall werden Sie und ich uns gewöhnen müssen. Wir werden dem Bröckeln der Bauwerke zuschauen, auch der gedanklichen, und dem Einsturz der letzten Brücken, auch der symbolischen. Während auch Sie langsam älter und klüger werden. Und vielleicht werden auch Sie irgendwann anfangen, sich nach dem unwiederbringlichen „Damals“ zu sehnen. Willkommen in der langen Schlange. Aber wir können nicht mehr zurück.