Der Mensch im links-woke-grünen Aggregatzustand balanciert ständig über jener tiefen Kluft, die zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft. TWASBO wird diese Abgründe in loser Folge ausleuchten. Besonders tief sind sie im Weltbild der Klima-Religion, deren Jünger uns Enthaltsamkeit aufnötigen, selbst aber nur symbolhaft demonstrativen Verzicht üben wollen.

Das Plakat von Fridays for Future (FFF) München wirbt um Verständnis. Durch den geplanten Demonstrationszug werde es zu allfälligen Behinderungen des Alltags kommen, aber man sei nun einmal im höheren Auftrag unterwegs: um „den Planeten zu retten“. Die „Klima­-Aktivisten“, wie Schulschwänzer vom politmedialen Komplex seit geraumer Zeit aufwertend genannt werden, dürfen dann wieder zur besten Sendezeit das Nachrichtenprogramm „bespielen“, wie sie selbst wohl sagen würden.

Damit ist unfreiwillig benannt, was sich hinter der tönenden Weltrettungsrhetorik verbirgt: eine theatralische Inszenierung von Moraltheologie, Überheblichkeit und Narzissmus. Und eine große Emotions-Show: Bilder tiefenerschütterter Mädchen – es sind immer Mädchen – fluten an solchen Klima-Feiertagen die ARD-Tagesschau. Schwer „betroffen“ dürfen sie verbal größtes Geschütz auffahren. Etwa die tränenerstickte Behauptung, ihnen werde „die Zukunft gestohlen“, verbunden mit dem Aufschrei, es sei „Fünf nach Zwölf“. Nur sofortige Umkehr könne das Weltende noch verhindern.

Und die eigene Lebensrealität der leidgeprüften Klimabewegten? Persönlicher Verzicht auf das, was der Erde schadet? Pustekuchen. Bewohner schicker Stadtteile suhlen sich im ökologischen Wohlbehagen, wenn sie bei Allnatura vegane Kulinarik „shoppen“; sie halten sich für Naturschützer, weil sie sich ihre Internet-Bestellung vom ausgebeuteten Fahrradkurier ausliefern lassen. Ökologie im eigentlichen Sinne spielt für woke Grüne (oder grüne Woke?) keine substanzielle Rolle mehr, übrig ist nur noch die Worthülse fürs politische Marketing.

Um die neue Generation von Umweltschützern richtig einordnen zu können, muss man zurückblicken auf deren Genese aus dem Geist graswurzelbewegter „Ökos“ und deren langen Marsch ins „progressive“ Heute. Niemand versinnbildlicht diesen Wandel besser als BAPs „Müsli-Män“, der seine einst „bläcke Fööß met nur Sandale draan“ mit hippem Urban-Casual-Style vertauscht hat.

Irgendwann in den Neunzigerjahren muss es angefangen haben, dass innerhalb der ökologischen Szene diejenigen in den Hintergrund gedrängt wurden, die noch wussten, dass Naturschutz bei einem selbst anfängt und nicht delegierbar ist. Laut, lauter, am lautesten schreien; andere belehren, beschimpfen und maßregeln hieß nun die Devise – selbst aber besten Gewissens weiter konsumieren, verbrauchen und die Umwelt versauen. Denn den medial in Szene gesetzten und gefeierten Aktivisten war es gelungen, stattdessen die sprichwörtliche Oma als „Umweltsau“ zu identifizieren und bloßzustellen.

Das Zepter des Regenten in der Öko-Szene hatte der Typus des nurmehr politischen Aktivisten übernommen, beispielhaft repräsentiert durch die FFF-Bewegung. Deren Straßenumzüge werden hauptsächlich deswegen aufgeführt, um das Ergebnis – wie bei einer Filmproduktion – medial vermarkten zu können. Die FFF-Protagonisten agieren dabei karrieristisch im Sinne einer Bewirtschaftung von Moral. Diese Aktivisten-Gattung bedient sich ihrer vorgeblichen Betroffenheit als Instrument für knallhart neoliberale Vermarktungs- und Vernutzungsabsichten.

Ihr Selbstverständnis und Programm ist nicht länger das Vorbild durch selbstwirksames Handeln, durch konkrete Taten, die geeignet wären, die Welt im eigenen Alltag und Wirkungskreis zu „retten“ (denn ohne Pathos geht es bei den meisten Umweltbewegten nicht). Stattdessen kaprizieren sie sich darauf, die Weltrettung zu organisieren, dirigieren, orchestrieren. Bestenfalls milde belächelt wird von diesen Polit-Aktivisten, Podiums-Theoretikern und Talkshow-Welterklärern jeder, der weiterhin Kröten über Straßen trägt, Müll von Böschungen sammelt, Biotope pflegt und dabei zu Fuß geht.

Wer aber „den Planeten“ retten (und sich selbst ernst nehmen) will, muss eben aufs Fliegen verzichten, statt das Flugzeug zu nehmen und durch Zahlung eines Zuschlags zu „kompensieren“. Denn was nutzt ein mittelalterlich anmutender Ablasshandel dem „Weltklima“, wenn es von Aktivisten malträtiert wird, die den Luftweg in die Ferien nach Thailand nehmen? Auch dass die Sonne uns „keine Rechnung schickt“, stimmt nur bei einem Höchstmaß an Selbstkasteiung: wenn jemand im Winter bei ausgeschalteter Heizung das Haus verlässt und sich zum Wärmen in die Sonne setzt, um am Nachmittag nach Hause zurückzukehren, wiederum ohne Heizung, Licht und Laptop einzuschalten, und um sich – wie man früher sagte – mit den Hühnern ins Bett zu begeben.

Bei elektrischem Licht betrachtet steht es um die Öko-Bilanz all der herrlichen grünen „Zukunftstechnologien“ nicht wirklich gut, bedenkt man deren Schattenseiten: Windstrom-Hochspannungstrassen durch Naturschutzgebiete, Ressourcen- und Platzverbrauch der vögelschreddernden Windturbinen, Batterie-Giftmüll durch E-Autos – ganz zu schweigen vom Albtraum der zukünftig kreuz und quer durchs Land zu verlegenden Wasserstoff-Pipelines.

Wenn die apokalyptischen Prognosen der Klimabewegten richtig sind, müssten ganz andere Maßnahmen ergriffen werden, als sie selbst den extremsten unter ihnen vorschweben. Dass nicht einmal die schrillsten Panik-Tröten Radikalansätze ventilieren, wie sie der finnische Ökologe Pentti Linkola erwog, kann nur eines heißen: Die Apokalypse-Propheten glauben entweder selbst nicht an ihre Szenarien – oder sie pfeifen bei der Wahl zwischen dem bequemen Leben und der Planetenrettung eben doch lieber auf ihr eigenes Geschwätz.

Überhaupt ist es wundersam, wer da unter dem Schlagwort Verzicht gerade im Klima- und Kulturkampf ein klassisch konservatives Thema für sich zu nutzen versucht: Grün-Links. Dabei ist längst unverkennbar, wie wenig „Grün“ noch mit Ökologie am Hut hat, außer das positiv besetzte Label marketingtechnisch zu nutzen. Ein substantieller Umweltschutzgedanke – weniger von allem – gepaart mit entsprechendem Verhalten ist eher anderswo zu finden. Wer also sind die wirklichen Grünen, die tatsächlich nachhaltig Lebenden, die durch realen Verzicht Glaubwürdigkeit beanspruchen können?

  • Sind es urbane Woke, die mit steuersubventioniertem E-Lasten-Bike ihre überlegene Moral für die grüne Peer Group auf „Twitter heißt jetzt X“ öffentlich machen, mit ihren Drahtesel-Kastenwagen Radwege verstopfen und trotzdem die Kinder sicherheitshalber im SUV von der Schule abholen? Oder ist es doch eher jemand, der mit batterielosem Second-Hand-Rad alle Wege zurücklegt, die er nicht zu Fuß gehen kann?
  • Sind es Selbstdarsteller, denen das Automobil – jetzt eben mit E-Antrieb – immer noch Statussymbol ist? Oder ist es jemand, der seinen Kleinwagen so lange fährt, bis einer von beiden seinen letzten Schnauferl tut?

  • Sind es FFF-Klimakleber, die „privat“ nach Thailand düsen – oder jemand, der prinzipiell keine Fernreisen unternimmt?
  • Sind es die Anywheres, die für ihr Leben gern durch die Welt jetten und von sich behaupten, sie seien „glühende Europäer“, um dann Europa (bis auf Italien) niemals zu bereisen, sondern Bali, Neuseeland oder Japan, und wieder heimgekehrt verkünden, der Klimawandel sei das drängendste Problem unserer Zeit? Oder ist es doch der Somewhere, der gerne im Heimatland und in Europa reist, um die Vielfalt der Landschaften und Kulturen zu erkunden? Jener Somewhere also, der sich in bestimmten Kreisen fast lächerlich macht, wenn er gestehen muss, noch nie in den USA gewesen zu sein und schon gar nicht auf einer Kreuzfahrt?
  • Sind es Shopper, denen das Internet ein Himmel an Bestellmöglichkeiten ist – oder der altmodische Mensch, der ein stationäres Ladenlokal bevorzugt?
  • Sind es Digital Natives, die ohne das modernste und schickste Smartphone nicht leben können – oder einer, der so gut wie nichts von Saturn, Mediamarkt & Co. besitzt?
  • Sind es Lifestyle-Gurus, die nur in Designwelten wohnen und schmausen können – oder Pragmatisten, die auf einem Herd kochen, den sie vom Vormieter übernommen haben?

  • Sind es Modejunkies, die den Inhalt ihres Kleiderschranks jedes Jahr neuesten Trends anpassen – oder Modemuffel, die tragen, was zur Hand ist, bis es nicht mehr tragbar ist?

Und wer hat den kleineren CO2-Abdruck? Jene, die moralapostolisch und werbewirksam Verzicht predigen und „nachhaltigem Konsum“ (ein Widerspruch in sich) frönen? Oder jene konservativ Nachhaltigen, die gewohnheitsmäßig auf viele der Dinge verzichten, ohne die Klimaretter nicht leben zu können meinen – und die sich von den Aktivisten dafür auch noch eines angeblich unökologischen Lebenswandels bezichtigen lassen müssen?

Warum aber schreien die Klimaretter so laut, wenn sie doch nicht wirklich verzichten wollen? Psychologische Erklärungen für diese Massenhysterie gibt es viele. Man will sich inszenieren als Inhaber einer höheren Moral, sich gleichzeitig abgrenzen gegen all jene, die nur ihren niederen (vulgo: „rechten“) Instinkten frönen. Inzwischen wird das auf die absurde Spitze getrieben. „Klimaschutz ist kein Verbrechen!“ prangt in München als Sticker an jedem zweiten Laternenpfahl – bewusst verfälschend, was „Rechte“ als Verbrechen anprangern: nicht den „Klimaschutz“ selbst, sondern Straftaten in seinem Namen, wie sie von Extinction Rebellion verübt werden.

Doch das Selbstbild ist ein anderes: Hier der brave Staatsbürger, der mit Klima-Panik die Demokratie zu stärken glaubt, dort der „ewiggestrige Klima-Leugner“, der Feind „unserer demokratischen Grundordnung“. Mit solch hohlem Wortgeklingel wollen sie sich selbst suggerieren, im Besitz allgemeingültiger Wahrheit zu sein.

Dazu kommt bei der Klima-Sekte eine panische Angst, aus dem Korridor dessen zu fallen, was eine Peer Group für „richtig“ hält, der man um jeden Preis angehören muss. Eine Peer Group, die immerhin quasireligiöse Dogmen von Schuld und Sühne im Namen des „Klimas“ aufstellt. Und nicht zuletzt ist der auf bloße Symbole reduzierte Verzicht, den sich diese Sekte als vermeintliche Bußübung zugutehält, notdürftig getarnter Hedonismus auf Kosten anderer: Wer „kompensiert“, zahlt dafür, dass andere verzichten – um selbst weiter fröhlich prassen zu können.

Schon vor 15 Jahren beschrieb der „Cicero“ die globale Austauschbarkeit des postmodernen „Lifestyle“-Lebensstils: „Sie kaufen Jeans in Prag und Lippenstifte in Singapur. Sie trinken Latte in Dublin, nippen an Cocktails in Chicago und lesen Lifestyle-Magazine in Krakau, sie gehen zu Weinproben in Boston, zu Speed-Datings in Amsterdam, zu Yoga-Kursen in Paris und fahren zu Skihütten in die Berge vor Tokio.“ Dieses Gebaren wird heute werbetechnisch zum vermeintlichen Öko-Lifestyle geadelt, indem man es mittels „Kompensationen“ zum neuen „Klimaneutral“ verdichtet. Es ist alles andere als neutral.

Was heute als FFF-Hedonismus durch die Manege geistert, ist die Fortsetzung jenes Konsumbürgertums, das Florian Illies (Jahrgang 1973) pünktlich zur Jahrtausendwende als eine Inspektion der „Generation Golf“ auf den Buchmarkt geworfen hat: „Der Kauf bestimmter Kleidungsgegenstände ist, wie früher die Lektüre eines bestimmten Schriftstellers, eine Form der Weltanschauung geworden. In dem, was ich kaufe, drückt sich aus, was ich denke, beziehungsweise: In dem, was ich kaufe, drückt sich aus, was die Leute denken sollen, was ich kaufe. […] Es ist wahnsinnig, aber wir glauben das wirklich: dass wir mit den richtigen Marken unsere Klasse demonstrieren.“ Und die „richtige“ Marke des gegenwärtigen Zeitgeistes ist jene, die das Etikett „progressiv“ trägt. Das „Must-have“ von heute ist die stete und aufdringliche Propagierung von „Klimaschutz“.

Andreas Bernard entlarvte schon 2008 in seiner Kolumne „Das Prinzip“ im Magazin der Süddeutschen die Lüge vom „Öko-Lifestyle“: „Auffällig ist, dass das Bestreben, die unvereinbaren Milieus [von Ökologie und Ökonomie, von Ethik und Ästhetik] zusammenzuführen, nur von einer Seite betrieben wird. Dass altgediente Ökos plötzlich in den Versprechen des Lifestyles aufgehen würden, geht aus den Erfahrungsberichten in den Online-Portalen nicht hervor; es herrscht vielmehr die Perspektive der Styler vor, die das Ökologische für sich entdeckt haben. […] Bewusstsein ist das Must-have-Accessoire der Saison. […] Es geht letztendlich um das Bemühen, noch jene Lebensbereiche in den Jargon der Ökonomie und der Warenwelt einzugliedern, die von jeher außerhalb dieser Logik stehen. […] Die Moral und der Lifestyle: Sie gehen in dieser neuen Bewegung keine symbiotische Beziehung ein; das eine [die Ökologie] wird dem anderen [der Ökonomie] unterworfen.“

Schluss mit marktschreierischen Lebenslügen aller Art – zurück zu sinnhafter Wirklichkeit im persönlichen Alltag: Man verzichtet nicht für „die Freiheit des Wertewestens“ oder zur „Rettung des Planeten“, sondern weil man als Mensch spürt, dass einem bestimmte Dinge nicht guttun und dass Maßhalten ein menschlicheres Leben bedeutet. Wer mit Verzicht prahlt oder gar Marketing betreibt, ist nicht ernst zu nehmen. Verzicht ist etwas Privates, geradezu Intimes – man macht es, redet aber nicht darüber. Seine Moral trägt man nicht zu Markte. Ihre Monetarisierung gar ist nicht ethisch hochwertig, sondern in höchstem Maße unethisch. Überhebliche Moralpräsentationen zersetzen die Gesellschaft wie ein pharisäisches Säurebad: „Seht her, ich, der bessere Mensch – und du, die alte Umweltsau!“