„Bündnis Sahra Wagenknecht – Für Vernunft und Gerechtigkeit (BSW)“: Die bloße Existenz eines Parteigründungsankündigungskomitees, aus dem in naher Zukunft eine Partei hervorgehen soll, elektrisiert schon die Republik. Und sie wirft zwei Fragen auf, die TWASBO prompt beantwortet.
Ist Wagenknecht im Ernstfall handlungsfähig?
Das weiß wohl nicht einmal sie selbst. Die promovierte Philosophin und Kurzzeit-Kolumnistin fürs „Neue Deutschland“ – einzige berufliche Tätigkeit außerhalb von Partei und Politik – hat bisher gezeigt: Sie kann Opposition und sie kann Talkshow. Aber kann sie Regierung? Wessen Expertise sich in 33-jähriger Politkarriere auf Kritisieren, Fordern und (ja, auch dies) Besserwissen spezialisiert hat, ohne je in Verantwortung gestanden zu sein, nicht einmal als Kioskbesitzerin – so eine Nur-Rednerin würde im Ernstfall als ungelernte Anfängerin im Alter von über 50 Jahren ihre ersten realpolitischen Gehversuche in der Bundesregierung machen. Ob der vielbeschworene und wenig ernstgenommene sogenannte „Wähler“ Möchtegern-Häuptlinginnen, die nie Indianerinnen waren, auch nicht im kleinsten Dorf-Wigwam, tatsächlich die Wiederherstellung von „Vernunft und Gerechtigkeit“ anvertrauen will?
Wer wird neben der Frontfrau für das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ stehen? Denn für ein Bündnis, zumal wenn es eine wählbare Partei werden will, braucht selbst die wirkmächtigste One-Woman-Show Deutschlands Mitstreiter. Gerüchteweise wird Selbstdarsteller Boris Palmer mit dem Projekt verwoben, er aber dementiert; dabei brächte der Tübinger Bürgermeister wenigstens politische Handlungserfahrung mit ins neue Boot. Als Einziger? Es sieht so aus. Denn eine der schillerndsten Figuren in der einschlägigen Gerüchteküche, die Politologin Ulrike Guérot, hätte, falls sie antritt, was seit Monaten kolportiert wird, nichts davon – außerdem ist ihre EU-Liebe nicht vereinbar mit Wagenknechts Europa-Position, erst recht nicht mit der heftigen EU-Abneigung potentieller BSW-Wähler aus altlinkem Milieu, ebenso wenig mit den Geschmackstendenzen derzeitiger AfD-Wähler, die Wagenknecht heftig umwirbt. Alice Schwarzer, die gemeinsam mit der BSW-Frontfrau Organisatorin eines Ukraine-Friedensappells war? Die Alt-Feministin wurde bislang ebenfalls noch nicht auffällig als politische Haudegin.
Und jene, die mit Wagenknecht die Linkspartei verließen? Von all diesen geborenen Oppositionellen besitzt naturgemäß keiner Regierungsexpertise, viele dieser Abtrünnigen, zumeist politische Leichtgewichte, können nicht einmal Berufserfahrung außerhalb des Parteiapparats aufweisen, geschweige denn Leitungskompetenz:
- Christian Leye, 42, Master of International Economics. Fachexpertise: Wirtschaftspolitischer Sprecher der Linken. Politisches Leben: Parteifunktionär bei der NRW-Linken, MdB seit 2021.
- Ali Al-Dailami, 42, Flüchtlingskind aus dem Jemen, gelernter Restaurantfachmann. Beruf: Abgeordneter.
- Andrej Hunko, 50, ukrainischstämmig, nach Medizinstudium (abgebrochen). Ausbildung als Mediengestalter (abgeschlossen). Seit 14 Jahren Berufspolitiker.
- Sevim Dağdelen, 48, kurdischstämmig, Jura-Studium abgebrochen. MdB seit 2005.
- Żaklin Nastić, 43, Polin mit zwei Pässen, Studium: Slawistik. Seit 2017: Bundestag.
Dass Wikipedia diese Riege als „prominente Mitglieder“ des BSW führt, spricht für sich. Diejenigen mit einem Vorleben außerhalb der Politik:
- Amira Mohamed Ali, 43, Halb-Ägypterin, Juristin. Langjährige Tätigkeit als Syndikusanwältin in der Industrie. Polit-Erfahrung: Sechs Jahre Opposition im Bundestag, zuletzt als Fraktionsvorsitzende der Links-Partei, die sie nun links (?) liegen ließ, um den Vorsitz des Vereins BSW zu übernehmen. Ihr Stellvertreter ist Christian Leye (siehe oben). „Mit dabei“, wie es heißt: Jochen Flackus, altgedienter Mitarbeiter Oskar Lafontaines, der wiederum – so er denn mehr wäre als ein stiller Berater im Hintergrund – ein wirkliches politisches Schwergewicht für das BSW wäre. (Alles im Konjunktiv.)
- Jessica Tatti, 42, Kind italienischer Eltern, Studium Soziale Arbeit, tätig in der Jugendarbeit.
- Alexander Ulrich, 52, Werkzeugmacher, als solcher aktiv, bevor er via Betriebsrat und Gewerkschaft zum Politiker wurde.
- Und der als ehemaliger Bundesvorsitzender der Linkspartei bekannteste Name der Links-Dissidenten: Klaus Ernst, 69, Elektromechaniker und Diplom-Volkswirt.
Wenn da nichts mehr kommt, fehlt jede tragfähige personelle Struktur an Politikern, die nicht nur Politik reden können, sondern auch konkret machen. Ob eine Kreissprecherin der Linken in Viersen, die ebenfalls dem „Verein“ angehört, diese Malaise lösen wird – fraglich. Wie das BSW mit seiner bisher benannten bunten Truppe bei AfD-Sympathisanten punkten will, die erklärtermaßen ein erwünschtes Wählerreservoir des neuen Bündnisses bilden, wäre eine andere Frage.
Bei wem und für wen ist Wagenknecht anschlussfähig?
Ein kurzer Überblick, bei dem am Ende wenig übrig bleibt:
AfD
Eine Zusammenarbeit hat Wagenknecht kategorisch – ohne Not und ohne Sinn – ausgeschlossen, obwohl das meiste, was sie in den letzten Jahren als ihre politischen Überzeugungen kundtat und was nun ins neue Label BSW eingehen soll, „fast eins zu eins AfD“ ist, wie deren Bundessprecher Tino Chrupalla bei ZDFheute korrekt feststellte. Das BSW-Programm, soweit bisher erkennbar, in der Zusammenfassung des Politikwissenschaftlers Benedikt Kaiser: „Für die Interessen der Mehrheit, gegen Konzernprivilegien, für Entlastung der unteren und mittleren Schichten, gegen woke Raserei, für mehr Diskussion und Meinungsvielfalt, gegen die Klimahysterie, für rationalen Zugang in der Energiedebatte, gegen aggressives Westlertum, für Ausgleich mit Russland, gegen restlos offene Grenzen, für eine Umkehr in der Migrationsfrage.“ Eine frappierende inhaltliche Nähe, die umso mehr ins Gewicht fallen würde, sollten sich in der AfD jene Kräfte durchsetzen, die für einen „Sozialpatriotismus“ plädieren.
Die Linke
War schon vor dem personellen Aderlass, den die BSW-Gründung für die Partei bedeutet, mehr tot als lebendig; insbesondere nach den Landtagswahlen in Bayern und Hessen. Jetzt dürfte sie endgültig Geschichte sein – ihre Protagonisten können sich auf mandatslose Zeiten im wiederzubelebenden K-Gruppen-Untergrund vorbereiten. Und selbst wenn es irgendwie doch weiterginge für die Mainstream-Linke, die nur noch von der ihrerseits schwer schiefliegenden taz unterstützt wird – Abspalter wurden links schon immer mehr gehasst als der eigentliche politische Gegner. Von der anderen Seite aus betrachtet: Eine Wagenknecht-Partei, die mit jenen koalierte, deren Politikunfähigkeit die BSW-Gründer erst aus ihrer angestammten Heimat vertrieben hat, würde sich komplett unglaubwürdig machen. Täte sie es trotzdem?
Die Grünen
Als „Die Selbstgerechten“ (Wagenknecht) erklärter Hauptfeind der (noch nicht ganz) Partei BSW, wo sich bekanntlich die Anti-Wokisten unter den Linken bzw. Alt-Linken versammeln wollen. Unter halbwegs nachvollziehbaren Umständen: ausgeschlossen. Die Grünen selbst und die ihnen angeschlossenen Funkhäuser erzeugen ohnehin den Eindruck, dass der Wagenknecht-„Populismus“, wie sie es zu nennen belieben, dem Teufel auf der „rechten“ Seite sehr nahe steht – was das BSW inhaltlich ja auch tut (siehe AfD). Nur ist das, was die „Rechten“ oder Konservativen wollen, keine Teufelei, sondern nach jüngsten Umfragen und Wahlergebnissen offensichtlich Mehrheitsmeinung im Land: ob zu den Themen Islamismus, Migration, Gendersprache, Klima, Energie oder vielen anderen mehr.
SPD
Schwer vorstellbar, dass eine Wagenknecht-Partei sich mit einer SPD verbündet, die alles, was nicht mindestens so woke tut wie Saskia Esken oder ist wie Nancy Faeser, als „rechtsextrem“ bekämpft. Es ist jene SPD, die sich im bayerischen Landtagswahlkampf an die Spitze des Aiwanger-Bashings gesetzt hat – womit sie, wie Christian Ude kopfschüttelnd tadelte, groteskerweise den SPD-Wunschpartner aus dem Wahlkampf von 2013, die Freien Wähler, pauschal zu Faschisten erklärt hat. Jene SPD, die – mittels einer Studie ihrer Friedrich-Ebert-Stiftung – allen, die nur das Wort „Ausländer“ in den Mund nehmen, unterstellt, sich damit bereits als „rechtsradikal“ zu erkennen zu geben. Jene SPD, die nichts unversucht lassen wird, die Wagenknechtianer und ihre potentiellen Wähler in dieselbe Ecke zu stellen. Jene SPD, die ihre Stammklientel, die breite Schicht der einfachen Arbeitnehmer, seit Jahren vernachlässigt, ja verachtet. Jene SPD schließlich, die wohlwollend billigend zulässt, dass die Gewerkschaften, deren Mitglieder bereits durch die Agenda-Politik nachhaltig der Partei entfremdet wurden, inzwischen statt handfester Verteilungskämpfe nicht viel mehr zu bieten haben als die Frage „Home Office ja oder nein“, diverse Diversity-Kampagnen oder das Hissen von BLM-Bannern, was alles wenig attraktiv für klassische Arbeiter oder neues Prekariat wie Paketausfahrer sein dürfte. Die Wagenknecht-Partei tritt mit dem Versprechen an, als „Sprachrohr der alten Arbeiterklasse“ (BR) genau jenem politisch heimatlos gewordenen Wählerpotential, das eine woke-gewendete SPD hinterlassen hat, eine neue Heimstätte zu bieten. Sollte sie sich also tatsächlich mit dieser SPD verbünden: Einen solchen Verrat würde ihr die Wählerschaft niemals verzeihen.
FDP
Auch wenn Wagenknecht nicht mehr die stalinistische Plattformerin ist, als die sie Beatrix von Storch (AfD) hinstellen will – so viel Sozialismus steckt jedenfalls weiterhin in Wagenknecht / BSW (siehe oben), dass es mit einem Marktliberalismus a la „Liberale“ (spätestens seit 2021 eigentlich ein dreister Etikettenschwindel auf der Verpackung, welche die Aufschrift „FDP“ trägt) komplett unvereinbar sein dürfte. Schon alleine der Umstand, dass BSW „deutlich mehr Staat und Sozialleistungen“ (Die Welt) will, kann für die FDP nichts anderes als ein No-Go sein.
Bleibt:
CDU/CSU
Wahrscheinlich ist die völlig ausgehöhlte, kern- und rückgratlose sogenannte „Union“ gerade wegen ihrer Prinzipienlosigkeit die einzige Partei, die für BSW anschlussfähig wäre – wenn man „fähig“ nicht allzu wörtlich nimmt. Die Nach-Merkel-Merz-„Union“ scheint in ihrem seelenlosen Zustand überhaupt mit allem und mit nichts kompatibel, wie nicht nur die allzu wenig thematisierte Tatsache deutlich vor Augen führt, dass sie in den Bundesländern momentan mit allen außer der AfD, aber inklusive der SED PDS Linken im Bett liegt, sondern auch Söders Lavieren in Bayern zwischen Freien Wählern und Grünen zur Zeit wieder zeigt. Eine Partei, die nicht weiß, für was außer für Machtergreifung sie steht, kann eben mit jedem, mit dem zusammen sich Macht ergreifen lässt. Nur so, mit diesem wesensfreien Zustand der „Union“ ist auch zu erklären, warum sie in der Gunst des sogenannten „Wählers“ momentan so weit vorne liegt – weil in ein Vakuum jeder hineinprojezieren kann, was er will.
Abgesehen von der Unions-Option, die keine konstruktive Variante sein kann: Wagenknecht steht ziemlich einsam da, wo sie sich selbst hingestellt hat.
Parteien wollen gewøhnlich an die Macht, koste es, was es wolle. Mit einem entsprechenden Wahlergebnis fuer BSW, ueber 5%, wuerde so mancher Graben schmaler.
Die Unprofessionalitæt ist tatsæchlich ein Hindernis, aber wenn man auf Frau Baerbock schaut scheint es nicht unueberwindbar. Wenn die Partei erfolgreich zu sein scheint werden auch noch Mitstreiter hinzukommen.
Wichtig ist, nicht jeden in die Partei aufzunehmen, um ein Piraten-Szenario zu vermeiden.
Viele Wæhler suchen eine Alternative zu den Altparteien, und BSW hat nicht soviel Schmuddelimage wie die AFD