Popanze, Alchemisten und Schlangenölverkäufer gab es zu allen Zeiten. Doch wer die heutigen Exemplare dieser Gattung untersucht, erkennt: Auch die Hochstapelei unterliegt einer Entwicklungsgeschichte. Wo ließe sich das besser erforschen als im deutschen Politikbetrieb?
Um das Jahr 2006 trug ich mich ernsthaft mit Überlegungen für eine Studie zum Typus des Hochstaplers. Einen Doktorvater gab es auch schon. Hätte ich damals meine Dissertation darüber geschrieben, dürfte ich heute den Titel „Dr. hchst. s.c.“ (sine causa, zu deutsch: ohne Grund) führen. Wahrscheinlich könnte man damit sogar Staatswirrologe werden.
Vielleicht wäre es langsam an der Zeit, die alten Hochstapeleien wieder hervorzukramen und mit aktuelleren Fallstudien aus der Welt der politischen Eliten der Deutschen Deppokratischen Republik (Alexander Wendt) anzureichern. Deren Welt ist ein offener Vollzug, eine Partizipativa Republica Hysterica Intoleranzia Banana Gendermania.
Ihr Personal reicht vom vorerst gescheiterten Plagiatsbaron und Musikproduzenten („Der Sound des Größenwahns“) Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Münchhausen Buhl-Freiherr von und zu Guttenberg über Franziska Giffey (noch im Amt, aber nur halb bzw. stellvertretend, und auch nur in Berlin) bis hin zu Annette Schavan (wer?). Oder, um gleich den allerneuesten Prototypen mit einzubeziehen: vom Karlatan über eine feministische Außenministerin, die vom Völkerrecht kam und Russland „ruinieren“ wird, bis hin zu ihrem Geisteskumpan, der als Alchemist nachhaltiges Energiegold aus Sonne und Wind für eine Volkswirtschaft mit 84 Millionen Einwohnern zu destillieren verspricht. Und das beinahe in Lichtgeschwindigkeit. Ihm haftet ebenfalls und unzweifelhaft etwas progressiv Scharlataneskes an.
Hätte ich die Hochstapler-Studie damals geschrieben und würde ich ihr heute die Nachfolgestudie „Hochstapler 2.0“ hinterherschicken, käme etwas Erschreckendes heraus.
Seinerzeit geisterten einige Biographien durch meinen Kopf, Aufsehen erregende Lebensläufe von Zeitgenossen, die sich in Berufe eingeschlichen hatten, für die sie kein Qualifikationszeugnis besaßen; die ihre oftmals sehr respektable Karriere entweder ohne diese Nachweise geschafft oder die Zeugnisse gefälscht hatten. Aber in dem, was sie unerlaubterweise taten, waren sie gut. Richtig gut.
Es gab da in einer mittelgroßen deutschen Stadt einen Psychiater namens „Dr. med. Dr. phil. Clemens Bartholdy“ (sein Fall wurde sogar verfilmt), der es zum Vertrauensarzt der gesamten örtlichen Schickeria brachte. Denn er hatte Erfolg mit seinen Behandlungen und überzeugte seine Patienten auch menschlich. Ein neuer Star der Seelenheilkunde. In Italien wirkte ein Pfarrer, der keine Theologenausbildung absolviert, aber bei seiner Gemeinde über Jahre solche Beliebtheitswerte angehäuft hatte, dass diese ihn sogar, nachdem er aufgeflogen war, unbedingt behalten wollte. Die Leute sagten, so einen guten Seelsorger hätten sie noch nie erlebt.
Und dann gab es noch einen medizinischen Spezialisten, für den dasselbe gilt wie für den erwähnten Pfarrer. „Dr. med. William Hamman“ war eigentlich ausgebildeter Airline-Pilot in den USA, der als nicht approbierter Herzchirurg selbst in Fachkreisen Furore machte, wie die „Welt“ berichtete: „Dies nämlich ist der größte Witz an der Geschichte: Der Scharlatan machte seine Sache ganz ausgezeichnet. Eigentlich alle, die seine Kurse besuchten, scheinen dabei nützliche neue Erkenntnisse gewonnen zu haben. Dr. Sameer Mehta, ein Kardiologe aus Miami, sagte, Hamman habe ganz genau gewusst, was die Leute in der Notfallaufnahme und die Leute, die Herzkatheter legen, zu machen haben und wie sie besser zusammenarbeiten könnten.“ Bewunderung aus berufenem Munde für einen überführten Scharlatan – vor dem Gefängnis bewahrt hat sie ihn nicht.
Die Hochstapler 1.0 waren also allesamt Leute, die kein Diplom aufweisen konnten, aber die Sache, mit der sie auftraten, beherrschten. Dennoch wanderten sie als verurteilte Straftäter, als Betrüger am Gemeinwesen ins Gefängnis. Zum Vergleich nun die Hochstapler 2.0 – das kann man kurz machen: Mit ihnen verhält es sich genau andersherum. Sie haben irgendwelche Zertifikate, die sie zu nichts qualifizieren. Sie bekleiden höchste Staatsämter, in denen sie nichts können. Dabei dürften sie nach obiger Rechtslogik ebenso wie nach dem gesunden Menschenverstand eigentlich nicht auf Ministersesseln, sondern müssten hinter gewissen Gardinen sitzen.
Würde man die beiden imaginierten Hochstapler-Studien aus den Jahren 2006 und 2023 nebeneinanderlegen, dann würde sich ein weiteres Mal ein Befund bestätigen, der überall in unserem Land besichtigt werden kann: Selbst die Hochstapelei hat sich verändert – keineswegs zum Vorteil der Hochstapler. Der entscheidende Unterschied zwischen den Versionen 1.0 und 2.0: Der erste Typus weiß, dass er ein Hochstapler ist, dass er keine Zeugnisse aufweisen kann, dass er schlicht und einfach lügt. Der zweite – ein besonders drastischer Fall ist Baerbock – weiß das alles nicht. Im Gegenteil: Hochstapler dieses neuen Typs halten ihre Scheinwelt für die Realität, ihre Unfähigkeit für eine besondere Leistung, ihre Scharlatanerie für staatstragend, ihre Anmaßung für menschheitsrettend. Ein tragischer Fall von Realitätsverlust. Das Drama des unbegabten Kindes.
Trost bietet höchstens die Literatur. Thomas Manns „Felix Krull“ repräsentiert den Hochstaplertypus alter Schule – also denjenigen, der weiß, was er tut und mit der Rolle, die er beherrscht, ein Stück weit spielen kann. Er reflektiert sie sogar und ist imstande, sie mit augenzwinkernder Selbstdistanzierung zu ironisieren. Während im Roman „Der Vater“ von Jochen Klepper (1903-1942) eher der Vorläufer des Hochstaplers 2.0 ausgestellt wird: ein Alchemist, der seinen Gönnern am Preußischen Königshof zu Berlin das Blaue vom Himmel herunterverspricht. Ein Scharlatan, geblendet von den Huldigungen, die seinem angeblichen Talent bei Hofe entgegengebracht werden, der deshalb fest an sein Genie glaubt, im Praxistest aber dann doch kein richtiges Gold herstellen kann.
Seine moderne Form der Scharlatanerie kostet diesen Hochstapler letztlich einen hohen Preis: den Kopf.
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