Zu den letzten Inseln offener Debatte und intellektueller Brillanz zählt die US-Autorenplattform Substack. TWASBO publiziert hier das Manifest einer Substack-Autorin, die sich als ehemalige Nachrichtendienst-Mitarbeiterin in Diensten des “Deep State” bezeichnet. Heute schreibt sie gegen Bevormundung, Wokeness und globalistische Exzesse an.

Nur vier Buchstaben: “Lily”. Unter diesem schlichten Pseudonym schreibt eine englischsprachige Autorin – oder, wer weiß, ein Autor? – auf Substack das Blog A Lily Bit. In Lilys Selbstauskunft heißt es, sie wolle dabei helfen, “die Komplexität des Great Reset, des Globalismus und der Architekten dieser Narrative zu enträtseln”. Tatsächlich sind ihre Texte geprägt von tiefer Durchdringung des Komplexes (wie sie selbst sagt, aus jahrelanger Insider-Erfahrung in einem “Nachrichtendienst”). Hinzu kommen teils beißende Schärfe und – für ihr ehemaliges Lager – schmerzhafte Treffsicherheit der Beobachtung. Auch weist “A Lily Bit” etwas auf, das antiglobalistischen Perspektiven häufig fehlt: Bewusstsein für Geschichte. Und nicht zuletzt herrscht ein fröhliches Rätselraten um ihre Person. So heißt es im kürzesten ihrer Profile: “Früher in Diensten des Deep State, baue ich heute Raumschiffe.” Eine Metapher – oder schlichte Jobbeschreibung?

Mit Lilys Genehmigung reproduziert TWASBO hier ihre Abrechnung mit dem westlichen Illiberalismus amerikanischer Prägung (“Wokeness”), wobei ihr Anspruch kämpferisch über die reine Analyse hinausgeht. Dies als Anreiz für uns deutsche Autoren, neben der wohlfeilen Klage verstärkt auch für die wirksame Bekämpfung des grassierenden Wahnsystems einzutreten. Nur so werden wir letztlich Machtpositionen der Vernunft zurück übereignen können, die viele schon für verloren halten.

Wie man die Kirche der ewig Gekränkten niederbrennt

Die letzte Zuflucht der gesellschaftlichen Verlierer demontieren und entlarven

Text: Lily. Ursprünglich publiziert am 14.10.2024 in A Lily Bit. Deutsche Übersetzung von Oliver Driesen. Alle Rechte vorbehalten.

Ich nenne es gerne „die große Massen-Umnachtung”, aber in Wirklichkeit ist es einfach das Verdämmern des Intellektualismus im Westen, wo der einst leuchtende Pfad der Vernunft nun von den Silhouetten emotionaler Torheit überschattet wird. Das große amerikanische Experiment in Kultur und Denken scheint überwiegend einem grotesken Karneval verfallen zu sein, in dem das Kindliche und das Söldnertum in einer grotesken Umarmung tanzen.

Was heute als Kultur durchgeht, lässt mich weinen; es ist keine Kultur, sondern eine Parade der Egos, ein Marktplatz, auf dem die Seele für die nächste flüchtige Ablenkung verkauft wird. Unser Abstieg in diese intellektuelle Leere wurde nicht nur vorhergesehen, sondern durch Leute wie Lapham, Berman und Kaplan von den Dächern geschrien. Sie sahen entsetzt zu, wie die Demokratie nicht nur ins Wanken geriet, sondern mit dem Gesicht voraus in den Schlamm ihrer eigenen Widersprüche stürzte.

Die prophetischen Visionen der Science Fiction, von der buchverbrennenden Gesellschaft in Fahrenheit 451 bis zum postapokalyptischen Mönchtum in A Canticle for Leibowitz, waren nicht nur Geschichten, die einem das Blut in den Adern gefrieren ließen, sondern auch Warnungen, die nun konkrete Gestalt annehmen. Sie zeigten uns eine Welt, in der eine von Trivialitäten betäubte Bevölkerung nach der Pfeife einer Oligarchie tanzt, die auf Ablenkung und Spaltung setzt.

Aldous Huxley schenkte uns Brave New World, und hier stehen wir nun, am Rande genau dieser Realität, in der Vergnügung das Opiat und kritisches Denken die Ketzerei ist. Arthur Koestler verglich unsere Entwicklung mit dem Untergang Roms und prophezeite ein Amerika, das nicht aus freien Bürgern, sondern aus seelenlosen Automaten besteht. Jeder von ihnen erfüllt seine Rolle in einem verfallenden, korrupten Raster, in dem unangefochten der Eigennutz herrscht.

Die genannten Koryphäen mögen vielleicht nicht die exakte Geschmacksnote unserer gegenwärtigen kulturellen Malaise vorausgesagt haben – die groteske Maskerade der Critical Race Theory, die zur neuen Religion verfestigten Dogmen der Wokeness, die seelischen Pandemien oder die Verwirrung, die im Namen von Identität gestiftet wird -, aber den Geruch der Fäulnis haben sie wahrgenommen. Sie sahen den Niedergang, das Abdriften in eine moralische Wildnis, in der die Anarchie die Maske der Freiheit trägt und in der die Wahrheit jedes Einzelnen gleichermaßen gültig ist, wodurch die Wahrheit selbst obsolet wird.

Wir sind Zeugen einer sogenannten progressiven Entwicklung der Gesellschaft, in der die Critical Race Theory und die woke Bewegung als Schritte in Richtung Gleichheit gepriesen werden, in Wirklichkeit aber Katalysatoren für eine tiefgreifende gesellschaftliche Fragmentierung sind. Anstatt ein Umfeld des Lernens und des gegenseitigen Verständnisses zu fördern, säen diese Ideologien die Saat von ständigem Unmut und Spaltung.

“Sie sahen den Niedergang, das Abdriften in eine moralische Wildnis, in der die Wahrheit jedes Einzelnen gleichermaßen gültig ist, wodurch die Wahrheit selbst obsolet wird.”

Das Einsickern dieser Theorien in die Bildungssysteme ist keine Aufklärung, sondern ein Abstieg in die intellektuelle Barbarei. Was gelehrt wird, ist kein nuanciertes Verständnis von Geschichte oder sozialer Dynamik, sondern eine binäre Weltsicht, in der Komplexität auf Unterdrücker und Unterdrückte reduziert wird. Dieser Ansatz bildet nicht, sondern indoktriniert und verwandelt Bildungseinrichtungen in Fabriken für etwas, das man in Anlehnung an Bermans Begriff als intellektuelle Entmächtigung bezeichnen könnte.

Die Zunahme psychischer Probleme, insbesondere bei Jugendlichen, ist kein Zufall. Wenn die Gesellschaft mit dem Narrativ hausieren geht, dass die eigene Identität oder der eigene Wert von ständig wechselnden, subjektiven Interpretationen von Unterdrückung oder Privilegien abhängt, kultiviert sie nicht nur Verwirrung, sondern Existenzkrisen. Der Anstieg der Selbstmordraten und die anschwellenden Fallzahlen von geschlechtlicher Bedrückung unter jüngeren Menschen können als Symptome eines tiefgreifenderen Missstandes angesehen werden: einer Gesellschaft, die ihre Grundlage gleichwelcher objektiver Wahrheit oder eines gemeinsamen moralischen Rahmens verloren hat.

Diese Bewegung behauptet, für Gerechtigkeit zu kämpfen, aber stattdessen untergräbt sie genau die Grundlagen, auf denen wahre Gerechtigkeit steht – universelle ethische Normen und die Vorstellung einer gemeinsamen Menschlichkeit. Indem sie subjektiven „gelebten Erfahrungen“ den Vorzug vor vor einer objektiven Analyse geben, drängen diese Ideologien die Menschen in Echokammern ihrer eigenen Gefühle, in denen jedes persönliche Unbehagen zu systemischer Unterdrückung aufgeblasen wird.

Darüber hinaus werden durch die Erhebung von Themen wie Geschlechtsdysphorie zu nationalen Prioritäten oft umfassendere, weiter verbreitete Gesundheitsprobleme überschattet, die größere Teile der Bevölkerung betreffen. Diese Schwerpunktverlagerung ist nicht nur eine Neuordnung der Prioritäten, sondern spiegelt einen breiteren gesellschaftlichen Trend zur Identitätspolitik wider. Dabei erhalten die lautesten oder neuesten Identitäten unverhältnismäßig viel Aufmerksamkeit und Ressourcen, oft auf Kosten einer umfassenden, integrativen Politikgestaltung.

In diesem Klima verschreiben sich die globale Elite und die politischen Gesetzgeber solchen Anliegen, entweder aus echter Überzeugung oder aus politischer Opportunität. Dabei ist ihnen nicht bewusst oder vielleicht auch egal, dass sie zu einer Kultur beitragen, in der emotionales Argumentieren empirische Beweise übertrumpft und in der persönliche Glaubenssysteme zu Waffen im politischen Diskurs werden. Das ist keine Demokratisierung, sondern die Zersplitterung des demokratischen Dialogs in eine Kakophonie persönlicher Wahrheiten, die alle um die Vorherrschaft buhlen und die Gesellschaft noch mehr spalten, noch mehr verunsichern und noch weniger in der Lage versetzen, ihre wirklichen, strukturellen Probleme anzugehen.

Das rasche Eindringen dieser Ideologien in das Gefüge des westlichen institutionellen Lebens ist nicht nur ein kultureller Windhauch, sondern ein Sturm, der jahrhundertelang etablierte Normen und Praktiken entwurzelt. Diese Bewegung, die unter dem Deckmantel der sozialen Gerechtigkeit daherkommt, demokratisiert nicht, sondern tyrannisiert den Diskurs: Sie erzwingt sie eine starre Orthodoxie, in der Widerspruch nicht nur unerwünscht, sondern strafbar ist.

“Diese Bewegung, die unter dem Deckmantel der sozialen Gerechtigkeit daherkommt, erzwingt sie eine starre Orthodoxie, in der Widerspruch nicht nur unerwünscht, sondern strafbar ist.”

Das Phänomen, dass ein Elternteil das Einverständnis eines Säuglings einholen muss, um ihn grundlegend zu versorgen, ist – so absurd es auch klingen mag – nur der winzige Ausschnitt der größeren, aberwitzigen Landschaft, in der die Rationalität auf dem Altar der Überempfindlichkeit geopfert wird. Hier sehen wir, wie Erziehung auf Echokammern reduziert wird, in denen nur genehmigte Narrative widerhallen. Professoren, einst verehrt, sind nun der Gnade des Pöbels ausgeliefert, indem ihre akademische Freiheit gegen die flüchtige Zustimmung derer eingetauscht wird, die sie eigentlich erziehen sollen.

Dieser woke Aufruhr mit seinem umgekehrten Rassismus und seiner Cancel Culture hat nicht nur ein Zuhause gefunden, sondern ist zur herrschenden Haltung in Bereichen geworden, die Politik und öffentliche Meinung prägen. Der Wandel hat sich rasch vollzogen, vor allem weil er auf Schuld und Angst statt auf Vernunft und Diskussion setzt. In ihrem Streben nach moralischer Überlegenheit oder einfach nur fürs Überleben vollziehen die politischen Parteien etwas, das man nur als ideologische Säuberung bezeichnen kann. Dabei versuchen sie, die Opposition mundtot zu machen – unter dem Vorwand der Läuterung der Gesellschaft von ihren Sünden der Vergangenheit.

Der Angriff auf die Leistungsgesellschaft unter dem Vorwand der Gleichmacherei ist besonders paradox. Während sie vorgeben, für Gleichheit zu kämpfen, treten diese Bewegungen oft für Ergebnisgleichheit statt für Chancengleichheit ein; eine Haltung, die dem Grundsatz von Verdiensten und individueller Anstrengung inhärent widerspricht. Diese Forderung nach einheitlichen Ergebnissen unabhängig von der Leistung oder den Fähigkeiten demotiviert nicht nur, sondern entwertet auch tatsächlich Errungenes.

Der Vergleich mit Rom ist nicht nur poetisch, er ist auch aufrüttelnd. Wie Rom, dessen Niedergang nicht nur durch äußeren Druck, sondern zugleich durch inneren Verfall gekennzeichnet war, droht unserer Gesellschaft ein ähnlicher Zusammenbruch von innen. Der geistige Virus unserer Zeit ist kein Aberglaube im klassischen Sinne, vielmehr ein dogmatisches Festhalten an Erzählungen, die Komplexität durch Einfachheit und Fakten durch Gefühle ersetzen.

Leon Festingers Konzept der Deindividuation erklärt vieles von dem, was wir sehen: Individuen, die sich im kollektiven Eifer verlieren, deren persönliche Identität in derjenigen der Gruppe untergeht, was zu Verhaltensweisen führt, die für sich allein betrachtet als irrational oder schädlich gelten würden. Dieser Selbstverlust in der Menge untergräbt nicht nur die Selbstverantwortung, sondern auch die Vorstellung von individuellen Rechten und Freiheiten, die für jede demokratische Gesellschaft grundlegend sind.

Während wir Zeugen dieser Ereignisse werden, dürften die Vernünftigen unter uns in der Tat mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und Besorgnis zusehen. Denn sie erkennen, dass es sich nicht um Fortschritt, sondern um Rückschritt handelt, nicht um Aufklärung, sondern um eine neue Form der Finsternis, bei der das Licht der Vernunft nicht nur gedämpft, sondern absichtlich ausgelöscht wird.

Dass sich der öffentliche ebenso wie die privaten Sektoren dieser Entdifferenzierung so umfassend verschrieben haben, fördert nicht nur ein Umfeld, das antisozialem Verhalten Vorschub leistet, sondern ermutigt auch aktiv dazu, sich von persönlicher Verantwortung und kritischem Denken zu lösen. Dieser gesellschaftliche Wandel hin zu einer kollektiven Identität, die über die individuelle Rationalität gestellt wird, hat in manchen Fällen Absurditäten wie die Behauptung, biologische Männer könnten schwanger werden, zur Normalität werden lassen. Was zeigt, wie weit die Abkehr von der empirischen Realität bereits fortgeschritten ist.

Die Entropie, die der Psychiater Dr. Henry A. Nasrallah erwähnt, ist nicht nur ein physischer oder organisatorischer Verfall, sondern auch ein moralischer und intellektueller. In diesem Zusammenhang wirkte die Covid-19-„Krise“ nicht nur als gesundheitlicher Notstand, sondern auch als Katalysator für soziale Entropie, der die bestehenden Risse in der Gesellschaft noch vergrößerte. Die durch die ständige Medienberichterstattung verbreitete Angst und Unsicherheit, gepaart mit fehlerhaftem Handeln der Regierung, stellte nicht nur die Gesundheit der Gesellschaft in Frage, sondern griff auch das Gefüge des sozialen Zusammenhalts an.

“Dieser Selbstverlust in der Menge untergräbt auch die Vorstellung von individuellen Rechten und Freiheiten, die für jede demokratische Gesellschaft grundlegend sind.”

Das aus diesen Ereignissen resultierende Chaos war nicht zufällig, sondern wurde von den zugrunde liegenden Strömungen der Entdifferenzierung gelenkt. Wenn sich Einzelpersonen zu Mobs zusammenschließen, sowohl physisch als auch digital, spiegeln sie die dunklen, unbewältigten Aspekte unserer gesellschaftlichen Psyche wider. Diese Mobs, die Konformität im Denken und Handeln einfordern, spiegeln das Chaos wider, das von den Machthabern gesät wird. Die wiederum erhalten entweder durch Inkompetenz oder Absicht Systeme aufrecht, welche die gesellschaftlichen Normen destabilisieren.

Bertrand Russells Beobachtungen zur kollektiven Leidenschaftlichkeit finden in den heutigen woken Bewegungen eine düstere Bestätigung. In ihnen erstickt das Gruppendenken nicht nur den individuelle Gedanken, sondern versucht auch, die Strukturen zu zerschlagen, die Dissens oder Meinungsvielfalt zulassen. Diese neue radikale Linke, die sich in das Gewand des Progressivismus hüllt, ist in der Tat zum Spiegelbild der dogmatischen Starrheit geworden, die sie zu bekämpfen vorgibt: Mit dem Eifer religiöser Fundamentalisten setzt sie eine säkulare Orthodoxie durch.

Charles Taylors „exklusivistischer Humanismus“ fasst dieses Paradoxon perfekt zusammen, bei dem der Anspruch des Universalismus dazu benutzt wird, jede Weltanschauung auszuschließen, die nicht mit seinen engen Definitionen übereinstimmt. Dies ist keine Erweiterung des Verständnisses vom Menschen oder seiner Rechte, sondern eine Verengung des akzeptablen Denkens, die zu einer Kulturlandschaft führt, in der nur das Säkulare, das Materielle und das politisch Zweckmäßige als gültig angesehen wird.

Diese kulturelle Schizophrenie führt dazu, dass der Einzelne und die Gesellschaft mit einer Identitätskrise zu kämpfen haben, hin- und hergerissen zwischen den materialistischen Verlockungen des modernen Lebens und einer tiefen, unausgefüllten spirituellen Leere. Das Ergebnis ist eine Bevölkerung, die zwar technisch vernetzt, aber emotional und moralisch auseinanderdriftet und ihren Sinn in Dingen sucht, die oft eher zu weiterer Spaltung als zu Einheit führen.

Nelson Mandelas Metapher von der „Gesellschaft in Ketten“ hat hier einen starken Widerhall. Sie legt nahe, dass wahre Freiheit, einschließlich der Freiheit, sich an demokratischen Prozessen zu beteiligen, eine Bevölkerung voraussetzt, die nicht nur von äußerer Unterdrückung befreit ist, sondern sich auch innerlich von Ignoranz und Irrationalität befreit.

Damit die Demokratie im 21. Jahrhundert gedeihen oder auch nur überleben kann, muss es in der Tat eine Rückbesinnung auf grundlegende moralische und spirituelle Werte geben, die über Lagergrenzen hinausgehen und mit der universellen menschlichen Erfahrung harmonieren. Diese Renaissance wäre kein Rückschritt, sondern eine notwendige Neukalibrierung, um die Komplexität der modernen Existenz mit Weisheit aus der Quelle der menschlichen Tradition und Ethik zu meistern.