Das australisch-amerikanische Autorenpaar Caitlin Johnston und Tim Foley über die destruktive Blase der „Künstlichen Intelligenz“: letzter Hype eines sterbenden Systems? TWASBO stellt ihren Beitrag zur Diskussion.

Irgendwann hat der Kapitalismus die Fähigkeit verloren, uns neue Dinge zu bieten, die wir brauchen, und hat angefangen, uns neue Dinge zu bieten, die wir nicht brauchen, und jetzt bietet er uns neue Dinge, die wir nie gebraucht haben und nicht einmal wirklich wollen.

Niemand benötigt diesen ganzen generativen KI-Mist. Wir kamen gut zurecht mit Online-Suchfunktionen und der Möglichkeit, selbst zu schreiben und Kunst zu schaffen. Nur die oberflächlichsten und geistlosesten Menschen finden Gefallen an der Idee, mit einem Chatbot wie mit einem Gefährten zu sprechen, von einem Computerprogramm generierte „Kunst“ zu konsumieren oder die Technologie eines plutokratischen Megakonzerns für sich denken, recherchieren und sprechen zu lassen.

Die Wirtschaft balanciert derzeit auf einer gigantischen Blase einer erst im Entstehen begriffenen Branche, die bereits hinter den Erwartungen zurückbleibt und an mehreren Fronten an die Grenzen ihrer Rentabilität stößt, während sie gleichzeitig wirklich schlecht für die Umwelt ist. Und sie verbessert das Leben von niemandem in nennenswerter Weise.

Niemand hat darum gebeten.

Und es ist nicht so, dass die Menschen nicht um Dinge bitten würden; der Kapitalismus ist einfach nicht in der Lage, ihnen das zu geben, was sie verlangen. Weltfrieden. Bezahlbaren Wohnraum. Gute Gesundheit. Schnelle und effiziente öffentliche Verkehrssysteme. Lösungen für die verschiedenen Umweltkatastrophen, in die uns das derzeitige menschliche Verhalten treibt. Die Möglichkeit, unsere Bedürfnisse zu befriedigen, ohne all unsere Zeit mit Erwerbsarbeit zu verbringen. Fürsorge für Bedürftige. Allgemeines menschliches Gedeihen. Das sind keine Forderungen, die ein System erfüllen kann, das vom Streben nach Profit um des Profits willen angetrieben wird.

Als der Kapitalismus zum ersten Mal erschien, brachte er viele neue Dinge mit sich, für die Menschen Bedarf hatten und die sie sich wünschten, die aber in früheren Systemen wie dem Feudalismus nicht verfügbar waren. Der stark gestiegene materielle Wohlstand und die explosionsartige Zunahme wissenschaftlicher und technologischer Innovationen, die mit dem Aufkommen des Kapitalismus einhergingen, führten zu einer sprunghaften Verbesserung der Lebensqualität der Menschen.

Doch jetzt sind wir an einem Punkt angelangt, an dem das einfach nicht mehr der Fall ist. Die Dinge stagnieren, und wir beginnen zurückzufallen. Die Menschen werden dümmer, kränker, einsamer und immer unglücklicher. Und die gewinnorientierten Systeme, in denen wir leben, haben keine Antworten darauf – außer uns mit immer mehr bescheuerter Technologie zu überschütten, damit wir uns davon ablenken können, wie beschissen alles geworden ist.

Wir werden von Systemen, die wir selbst geschaffen haben, in die Dystopie und die Vernichtung getrieben. Wir sollen die intelligenteste Spezies auf Erden sein, aber wir haben uns in unserer Erfindung verrannt – in einem sich selbst verschärfenden Arbeitslager, das uns unglücklich macht –, und dann werden wir wild, wenn Menschen zu fragen wagen, ob das der einzige Weg ist, Dinge zu tun. Buchstäblich jede andere Spezies ist intelligenter als wir. Amöben haben mehr Lebensqualität.

Das wird sich ändern, wenn die Menschheit den Kapitalismus durch etwas Besseres ersetzt, so wie wir den Feudalismus durch das überlegene System des Kapitalismus ersetzt haben. Ich weiß nicht, wie dieses System aussehen wird, aber es wird einen Übergang bewerkstelligen müssen: von einem Modell, das von Wettbewerb getrieben ist, hin zu einem von Zusammenarbeit getriebenen. Nur so wird die Menschheit in der Lage sein, ihre ganze Brillanz in das immense Projekt zu lenken, all die Hindernisse zu überwinden, denen wir als Spezies zusammen mit allen terrestrischen Organismen gegenüberstehen.

Bis dahin können wir nur versuchen, so vielen unserer Mitmenschen wie möglich die Realität unserer Situation bewusst zu machen. Wir müssen alle uns zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, um den Menschen zu vermitteln, wie schlimm unsere Lage ist, wie sehr wir durch die Propaganda und Indoktrination des Imperiums, unter dem wir leben, getäuscht worden sind, wie dringend Veränderungen notwendig sind und dass eine bessere Welt möglich ist. Sobald wir genug Augen geöffnet haben, werden wir die kritische Masse erreichen, um Veränderungen zu erzwingen.

Originaltitel des ursprünglich hier veröffentlichten Beitrags: Capitalism Is Shoving AI Down Our Throats Because It Can’t Give Us What We Actually Want. Übersetzung: Oliver Driesen

Naheliegende Fragen:

Widerspricht die Tatsache, dass auch China oder Russland die KI-Entwicklung vorantreiben, der These vom Kapitalismus als Wurzel des Übels?

Ist das Aussterben von Berufen wie Übersetzer, Historiker, Werber oder Journalist nicht Beweis, dass es einen echten Bedarf für bessere und billigere Lösungen gibt?

Wird es nicht auch nach der Abschaffung des Kapitalismus noch oder wieder „Imperien“ geben, die KI für ihre Zwecke zu missbrauchen suchen?

Wenn den Menschen erst „vermittelt“ werden muss, wie schlimm unsere Lage ist, ist sie es dann in den Augen der Menschen vielleicht gar nicht?

Hat KI wenigstens in Teilbereichen das Potenzial, nutzbrigend für die Menschheit eingesetzt zu werden – etwa bei medizinischen Diagnosen?

Kann KI gesetzlich „reguliert“ werden, oder hinkt die Gesetzgebung der Technologie und ihren Anwendungen rettungslos hinterher?